«Kultur» wird nicht mit Johann Gottfried Herder als an ein «Volk» gebundenes, a-historisches, homogenes, statisches und klar abgrenzbares Set von Handlungsweisen, Einstellungen und Eigenschaften verstanden, sondern als PROZESS («doing culture»): als Komplex von Sinnsystemen, mit denen sich Handelnde ihre Wirklichkeit als bedeutungsvoll erschaffen; als komplexer, sich ständig verändernder Prozess der Produktion von Bedeutungen und als Ebene der Aushandlung von Bedeutungen im Rahmen von Machtbeziehungen und Herrschaftsverhältnissen.
Dies hat folgende Konsequenzen für die Forschungsethik am IAE: Forscher_innen am IAE arbeiten gegen die Kulturalisierung politischer Probleme. Die Aussage «Jemand hat eine andere Kultur beziehungsweise kulturelle Identität» verdeckt Unterschiede und Gemeinsamkeiten, die auf komplexen Kategorien und strukturellen/politischen Ungleichheiten gründen: Geschlecht, sozialer Status und ökonomische Lage, Bildungshintergrund, biografische Erfahrungen, psychische Dispositionen, politische Verortungen, berufliche Verortungen, sexuelle Orientierungen, Körper usw. Vielmehr wird die Frage nach den Dominanzverhältnissen der Mehrheitsgesellschaft, nach strukturellem Rassismus und nach der vermeintlichen Normalität des weiss-Seins.
Das heisst: Forscher_innen des IAE begründen keine Sachverhalte mit dem Verweis auf «die Kultur» eines Subjekts oder eines geographischen Kontextes. Sie vermeiden jede Rede von «den Kulturen» und benennen stattdessen, was genau sie jeweils meinen.
Ihr Erkenntnisinteresse richtet sich unter anderem auf die Frage nach Effekten kultureller Zuschreibungen in Prozessen des Lehrens und Lernens.
Literatur
- Herder, Johann Gottfried, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, Berlin: Holzinger 2013 [1791].