Kritische Theorie mimetischer Praktiken
Lorenz Mayr
In der zeitgenรถssischen Kunst finden Praktiken des Aneignens, Wiederholens oder Nachstellens rege Indienstnahmen. Entsprechend darf in der รsthetischen Theorie der Begriff der Mimesis eine grundlegende Kategorie beanspruchen. Dessen kritische Konzeption sieht sich jedoch dem Verdacht ausgesetzt โ antiquiert scheint heute die Einbettung in negative Geschichtsphilosophie, Erkenntniskritik und Befreiung. In Abrede steht, dass mimetischen Kunstpraktiken mit dem Instrumentarium modernistischer รsthetik รผberhaupt angemessen begegnet werden kann. Dabei ist offen, wie der kritische Gehalt ihrer Vollzรผge einzuholen wรคre, wenn hierfรผr nicht auf normativitรคtstheoretische und wahrheitsรคsthetische Ansprรผche verzichten werden kann. Das Promotionsprojekt konfrontiert mimetische Praktiken deshalb mit dem Mimesis-Begriff Theodor W. Adornos. Der Einsatz beim Minderen erweist sich in doppelter Hinsicht als hilfreich. Als vorrangig kรถrperliche, praktische und technisch-reproduktive Verfahrensweisen entziehen sich mimetische Vollzรผge dem Paradigma des Schรถpferischen โ mimetische Praktiken kรถnnen daher begrifflich als mindere gefasst werden. In ihrem รผberaus starken Materialbezug geraten mindere Praktiken immer auch in Berรผhrung mit geschichtlichem Leid und beinhalten damit bereits einen normativen Kern. Aus dem sedimentierten Leid ergehen verbindliche Forderungen an die Verwendung รคsthetischen Materials. Lรคsst sich das Mimetische praxeologisch verstehen, ist es einzufรผgen in das, was Adorno als das Mindere bezeichnet und fรผr eine kritische Rahmung minderer Praktiken heute gewonnen werden kann: den kรถrperlichen Vollzรผgen zwischen den ontischen Polen von Leib und extramentalen Objekt. In der begrifflichen Verschrรคnkung dieses minderen Materialismus, der im Gesprรคch mit Benjamin, Caillois und Auerbach expliziert wird, kรถnnen die leibhaft-materiellen Prozesse รคsthetischer Praktiken in den Blick genommen und deren nicht-diskursives, jedoch dezidiert kritisches Wissen in Reichweite gebracht werden.