Musik ist an Schweizer Gymnasien als Grundlagenfach unbestritten und wird von gut der Hälfte der Gymnasien auch als Schwerpunktfach angeboten. Spezifisch ist die Lehrpersonenausbildung. Das Projekt untersucht den schulischen Musikunterricht an Deutschschweizer Gymnasien und die fachdidaktische Ausbildung der entsprechenden Lehrpersonen und füllt damit eine Forschungslücke.
Musik ist an Schweizer Gymnasien als Grundlagenfach unbestritten und wird von gut der Hälfte der Gymnasien auch als Schwerpunktfach angeboten. Spezifisch ist die Lehrpersonenausbildung: Im Gegensatz zu den sogenannt kognitiven Fächern erfolgt die Fachausbildung an Musikhochschulen und beschränkt sich im Normalfall auf dieses eine Fach. Diese Konzentration lässt eine starke Fachlichkeit erwarten, die in der Deutschschweiz aber keine wissenschaftliche Musikpädagogik als Bezugsdisziplin aufweist und auch als Fachdidaktik kaum Sichtbarkeit erlangt (Huber & Marty, 2021).
Deshalb bleibt unklar, welches Wissen in diesem Feld als legitim gilt und wie es sich ausbreitet. Abgesehen von der Evaluationsforschung zur Maturitätsreform 1995, die für das Fach Musik eher kritisch ausfällt (Eberle et al., 2008), liegen bislang keine Forschungsdaten zum schulischen Musikunterricht an Deutschschweizer Gymnasien vor; ebenso fehlen Untersuchungen zur fachdidaktischen Ausbildung der entsprechenden Lehrpersonen.
Zur Erforschung eines derartigen Feldes bietet sich ein kulturwissenschaftlich orientierter Zugriff an, der Wissen «ganz allgemein […] als Ergebnis der Herstellung von Ordnung in der Welt» (Kuhn, 2020, S. 526) versteht und von einem gemeinsamen konjunktiven Erfahrungsraum (Mannheim, 1980) der Involvierten ausgeht. Nimmt man mit Bohnsack (Bohnsack, 2017, S. 38) weiter an, dass Wissen einerseits kommunikativ, in Form von explizierbaren Theorien, und andererseits konjunktiv, also in gemeinsamem Handeln erzeugt und erworben, vorliegt, stellt sich die Hauptfrage, welches Wissen auf welche Weise in den Praktiken sowie in den Diskussionen der unterschiedlichen Akteur·innen im Feld des gymnasialen Musikunterrichts konstruiert werden und wie Normativität ohne normgebende Disziplin entsteht.
Zu deren Beantwortung werden die beiden Teilfelder ‹Musikunterricht› und ‹fachdidaktische Ausbildung› ethnografisch und in Gruppendiskussionen mit verschiedenen Akteur·innen des Feldes untersucht. Heuristische Fragestellungen liefern einerseits Erkenntnisse der im Rahmen eines SNF-Projekts durchgeführten Diskursanalyse von Texten zur Musikpädagogik in der Deutschschweiz , andererseits eine Ethnografie auf Sekundarstufe I (Blanchard, 2019). Diese legen eine spezifische Strukturierung des Feldes nahe, deren Eckwerte der unhintergehbare Primat der Praxis und eine ausgeprägte Skepsis gegenüber Akademisierungsbestrebungen (Huber, 2016) sowie ein stark auf das Singen fokussierter und im weitesten Sinne handwerklicher Zugang (Blanchard, 2019) sind. Die erhobenen Daten werden mit der dokumentarischen Methode analysiert und in gemeinsamen Interpretationsworkshops zu einer Theorie über das Wissen im Feld des gymnasialen Musikunterrichts verdichtet.
Die Analyse von «Inszenierungen fachkultureller Wissensordnungen» (Proske et al., 2021, S. 8) ist ein Desiderat für die ästhetisch ausgerichteten Fächer (Proske & Rabenstein, 2018, S. 15) und schafft eine reflexive Ausgangslage zur inhaltlichen Weiterentwicklung des Faches. Mit der Kooperation von vier Hochschulen setzt das Projekt ein starkes Zeichen für die musikpädagogische Forschung in der Deutschschweiz und trägt zur Etablierung und institutionellen Verankerung einer wissenschaftlichen Musikdidaktik bei. Zudem leistet es einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Methodologiediskussion in der musikpädagogischen Forschung (vgl. Jachmann & Welte, 2021) und ist anschlussfähig an die derzeit intensiv geführte Diskussion zur Relationierung von Theorie und Praxis (vgl. Leonhard et al., 2021).