Gegenstand des interdisziplinären Forschungsprojekts ist die Virtualisierung der Filmproduktion. Im Fokus steht der Übergang zur 3D-Erfassung realer Umgebungen und Objekte mittels 3D-Laserscanning und Fotogrammetrie. Für eine Vergleichsstudie werden Kurzspielfilme sowohl virtuell (in zuvor gescannten 3D-Räumen) als auch konventionell (in den entsprechenden Realräumen) aufgezeichnet. Anhand der Filmvarianten wird die Auswirkung auf die Wahrnehmung und die Veränderung der Arbeitsprozesse erforscht.
Die Digitalisierung hat die Filmproduktion einschneidend verändert und das Ausmaß der -– Umgestaltung nimmt mit großer Dynamik weiterhin zu. Der Übergang von der fotochemischen zur digitalen Aufnahme und Wiedergabe kann als abgeschlossen gelten. Die Gesuchsteller haben dies mit dem SNF-Projekt 100013_140401 (Analog/Digital, 2012-14) bereits umfassend untersucht. Unterdessen stellen computergrafische 3D-Modelle die Ausgangsbasis für einen grossen Teil der medialen 2D-Bildproduktion dar. In Mainstream-Filmen sind digital generierte Räume, Objekte und Charaktere allgegenwärtig geworden. Basierend auf Fotogrammetrie und Laserscans ermöglichen hohe Rechnerleistungen zunehmend auch die direkte 3D-Erfassung von realen Umgebungen und Objekten. Mit diesen volumetrischen Verfahren werden die herkömmlichen künstlerischen Entscheidungen bezüglich Kameraposition, Kamerabewegung, Objektivbrennweite, Schärfeebene und der Lichtsetzung nicht mehr in der Aufnahmesituation, sondern erst im Nachhinein getroffen. Und sie bleiben im virtuellen 3D-Raum auch weiterhin veränderbar. Der Abschied vom Apparat der Kamera als Grundpfeiler der kinematographischen Arbeit beginnt sich damit abzuzeichnen. Dabei stellt sich die Frage, wie Zuschauer/innen die zunehmend virtuellen Bilderwelten wahrnehmen. Verringert sich dadurch die Wirklichkeitsnähe des Dargestellten und hat dies Auswirkungen darauf, ob jemand in die gezeigte Welt eintauchen kann? Welche Rolle spielt dabei die Persönlichkeit der Zuschauer/innen? Für die Filmschaffenden stellt sich die Frage, inwiefern sie die hochgradig komplexen Workflows und die potenzierten Möglichkeiten der so genannten virtuellen Produktion auch kreativ nutzen können. Und besonders für Schweizer Filmproduktionen mit beschränkten finanziellen Mitteln ist zu klären, wie auch in Low-Budget-Umgebungen mit neuesten Technologien umgegangen werden kann. Mit dem Projekt Virtually Real wird mit einer systematischen und mehrschichtigen Vergleichsstudie der für Filmschaffende wie auch für Zuschauer/innen wichtige Wandel untersucht. Zwei Kurzspielfilme, die in je zwei Varianten hergestellt werden, bilden das Ausgangsmaterial. Nacheinander werden sie sowohl virtuell (in fotogrammetrisch erfassten 3D-Räumen) als auch konventionell (in den entsprechenden Realräumen) aufgenommen. Dabei werden alle Gestaltungsparameter wie Découpage, Einstellungsgrössen, Schnitt und Ausstattung gleich behalten, so dass sich die Varianten möglichst nur aufgrund der Raumrepräsentation unterscheiden. Um die ästhetische Komponente der technischen und künstlerischen Prozesse differenziert diskutieren zu können, weisen die beiden Filme explizit unterschiedliche Erzählhaltungen auf. Einer der Filme sucht eine stilisiert-abstrahierende Ästhetik, während der zweite Film eine realistisch-dokumentarische Umsetzung anstrebt. Das Forschungsteam teilt sich methodisch so auf, dass eine künstlerisch-forschende Gruppe die gestalterischen Optionen und deren Konsequenzen auslotet, während das empirisch arbeitende Team auf der Grundlage der Spielfilme Zuschauerexperimente durchführt und deren Resultate in die künstlerischeforschende Gruppe zurückspeist. Die wechselseitige Beziehung zwischen qualitativen und quantitativen Forschungsansätzen nach dem Prinzip der Mixed Methods (Clark & Creswell, 2011) führt zu einer differenzierten Auslotung der Problemstellung und rückt eine der grundlegenden Fragen des filmischen Kreativprozesses in der Vordergrund, nämlich die Auswirkungen gestalterischer Entscheidungen auf das Publikum. Das Projekt Virtually Real ist im Kontext von Digital Lives ausserordentlich aktuell und von hoher Relevanz, weil es sowohl auf die Veränderung der Wahrnehmung in einer zunehmend virtuellen Medienwelt wie auch auf die daraus resultierende Optionsvielfalt der Gestaltenden und die Umwälzung der Arbeitsprozesse einer ganzen Branche eingeht. Dabei bleibt der wahrgenommene Realitätsbezug digitaler Bilder klar im Fokus.
In Kooperation mit der Universität Bern / Institut für Psychologie
Industriepartner: InstLOD GmbH, Stuttgart; Leica Geosystems, Heerbrugg