Vier lebendige Traditionen im Spannungsfeld von Mobilität, Immobilität und gesellschaftlichem Wandel
Das immaterielle Erbe der Bodenseeregion ist vielfältig und umfasst sehr unterschiedliche traditionelle Bräuche, oder, in der Schweizer Diktion, „lebendige Traditionen“. Diese Praktiken und Wissensformen besitzen uneinheitliche Grade der regionalen und überregionalen Bekanntheit. Sie werden von sehr unterschiedlichen Gruppen von Träger_innen gestützt, und blicken auf verschieden lange Geschichten zurück, teilen jedoch einen fundamentalen Aspekt des für lange Zeit stärker beachteten materiellen Erbes: Anbindung an Orte und Personengruppen, an überliefertes Handlungswissen und Institutionen. Doch wird diese immanente Immobilität heute mit einer Mobilitätsdynamik konfrontiert, die Tourismus, Zu‐ und Abwanderung, und generell beschleunigten demographischen und medialen Wandel umfasst.
IMMOERBO untersucht anhand von vier ausgewählten Fallstudien die konkreten Fragestellungen, mit denen die Träger_innen immateriellen Erbes konfrontiert sind:
- Wer sind die Träger_innen immateriellen Erbes? Wie wird das Erbe “vererbt”? Wie sind Mitgliedschaft und Entscheidungsfunktionen verteilt? (Biografischer Aspekt)
- Wie gelingt angesichts der Abwanderung junger Menschen aus der ländlich geprägten Bodenseeregion die Tradierung immateriellen Erbes? Welche konkreten Probleme stellen sich? (Desintegrationsaspekt)
- Auf welche Weise steht das regionale immaterielle Erbe für Zugezogene aus anderen Teilen Deutschlands/Österreichs/der Schweiz, EU‐Europäer oder hier lebenden geflüchteten Menschen offen? (Integrationsaspekt)
- Welchen Einfluss hat die Mediatisierung von Öffentlichkeit sowie der Event‐Tourismus auf die Präsentation, Interpretation und Bewahrung des immateriellen Erbes der Bodenseeregion? (Medialer Aspekt)
- Woran wird die “Lebendigkeit” von Traditionen bemessen? Welche Steuerungsmöglichkeiten stehen den Träger_innen und anderen Akteuren zur Verfügung? (Governance‐Aspekt)
Die vier Fallstudien umfassen
- die Konstanzer Fasnacht,
- die Oberschwabener Funkenfeuer,
- das gesellige Singen im Bregenzerwald,
- das Silvesterchlausen in Urnäsch.
Durch ihren exemplarischen Charakter decken die Fallstudien ein breites empirisches Spektrum mit hoher Varianz ab, welches durch das Raster der Aspekte Vergleichbarkeit erhält, so dass gegenseitige Relevanz erzeugt wird. Dabei stehen qualitativ‐ethnographische Untersuchungsmethoden im Vordergrund, um über akteursorientierte Perspektiven der subjektiven Bedeutung des Erbes für seine Träger_innen gerecht zu werden.
Auf der Basis der Ergebnisse aus den durchgeführten Fallstudien ist eine Webseite eingerichtet worden, die für die Träger_innen immateriellen Erbes sowie eine interessierte Öffentlichkeit einen Einblick der vier untersuchten Traditionen ermöglicht (siehe Output-Daten).