Um in Zeiten von Klimakrise und Artensterben handlungsfähig zu bleiben, ist es notwendig, uns als Teil unserer Umwelt zu erfahren, in die auch die meist nicht beachtete Materialität digitaler Medien, Prozesse und Infrastrukturen eingewoben ist. Künstlerische Zugänge, auch und insbesondere solche, die über auditive Wahrnehmung funktionieren, ermöglichen das sinnliche Erfahren von Umweltfakten und unterstützen einen empathischen Umgang mit der Umwelt.
Was sind eigentlich digitale Daten, mit denen wir im Alltagsleben so viel zu tun haben? Wie entstehen sie? Haben sie einen Körper? Können wir sie berühren oder hören? Im Gegensatz zum Klimawandel, dessen Auswirkungen evident und spürbar sind, sind die Daten, die diese Effekte analysieren und in Modellen visualisieren, selber nicht direkt wahrnehmbar. Sie haben jedoch einen Körper, der einen ökologischen Fussabdruck in der physischen Welt hinterlässt und sich in Form des CO2-Ausstosses berechnen lässt (pro Anfrage produzieren die Serverfarmen der Google-Suchmaschine ca. 0,2 Gramm CO2).[1] Daten können wir nicht berühren, sie sind in abstrakter Sprache codiert, aber wir können ihren physischen Emissionen zuhören, die in Computern entstehen, während sie ihre Programme ausführen: den elektromagnetischen Oszillationen des Geräts, den subtilen Schwankungen des Stromverbrauchs oder den mikrorhythmischen Klicks eines Prozessors.
Um in Zeiten von Klimakrise und Artensterben handlungsfähig zu bleiben, ist es notwendig, uns als Teil unserer Umwelt zu erfahren, in die auch die meist nicht beachtete Materialität digitaler Medien, Prozesse und Infrastrukturen eingewoben ist. Künstlerische Zugänge, auch und insbesondere solche, die über auditive Wahrnehmung funktionieren, ermöglichen das sinnliche Erfahren von Umweltfakten und unterstützen einen empathischen Umgang mit der Umwelt. Um digitale Datenprozesse hörbar zu machen, hat das künstlerische Langzeitprojekt Computersignale. Kunst und Biologie im Zeitalter ihres digitalen Experimentierens ein eignes Experimentalsystem entwickelt, bestehend aus Sensoren wie Induktionsspulen und Kontaktmikrofonen. Diese Sonden wurden als Parasiten in die Messapparate, Rechner und Infrastrukturen zweier Forschungsunternehmungen eingepflanzt, die das Verhalten von Fischen in der Arktischen See und in einem Labor an der University of Texas in Austin untersuchen. Die dort aufgenommenen Sounds setzte das Kunstprojekt zusammen mit gleichzeitig aufgezeichneten Videobildern in audiovisuelle Installationen um.
Die Kunstinstallationen werden an drei verschiedenen Orten in Ausstellungen präsentiert[2] und bilden die Grundpfeiler des Agora Kommunikationsprojekts. Die Ausstellungen schaffen audiovisuelle Erlebniswelten, die von einer Reihe von zusätzlichen Sounderlebnissen bereichert werden. Der Einbezug lokaler Gastkünstler_innen garantiert eine dauernde «Jungzellenkur»: die konkreten Formate werden erst im Lauf des Projekts entwickelt. Als Veranstaltungen sind Soundwalks, Konzerte, Clubnächte, Workshops geplant. Ebenso ist ein Open Call vorgesehen (Arbeitstitel: «Outsourced sounds, compositions and environments»), um an den jeweiligen Austragungsorten die spannendsten Soundartisten zu finden. Denn das Projekt hat ein Konvolut mit tausenden von Stunden Sounds generiert, das ihnen nun für die Entwicklung eigener Projekte zur Verfügung gestellt wird. Diese Sounds sollen nun in verschiedenen Formen ein Eigenleben entwickeln. Das ist nicht nur künstlerisch interessant, sondern erlaubt auch den Zugang zu ganz unterschiedlichen Publika. Das zunächst ein wenig abstrakte Interesse an der Materialität digitaler Prozesse wird so in der Arbeit mit innovativen Sounds zum lustvollen Erlebnis.
[1] https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/co2-abdruck-jede-sekunde-googeln-verbraucht-23-baeume, accessed 29/8/2020.
[2] Graphische Sammlung ETH Zürich (in Abklärung); in Basel (Ausstellungsinstitution in Abklärung), einem globalen Hotspot der Molekularbiologie; Deutsches Schifffahrtsmuseum, Bremerhaven (in Kooperation mit dem Kunstverein Bremerhaven und dem Alfred-Wegener-Institiut | Helmoltzzentrum für Polar- und Meeresforschung, Bremerhaven).