Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) gehört zu den bedeutendsten Akteuren im Kulturleben des Landes. Musik bildet den grössten Teil der gesendeten Inhalte, was der SRG eine spezielle Bedeutung für die schweizerische Musikszene verleiht. Besonders für die E-Musik wirkt das Radio seit Jahrzehnten als Leitmedium, das Interpretinnen und Komponisten ein Forum bietet und ihre Musik verschiedenen Publikumsgruppen zugänglich macht. Welche Rolle die SRG für die Verbreitung und Förderung von zeitgenössischer E-Musik spielt, wurde jedoch noch kaum wissenschaftlich untersucht.
Das Projekt widmet sich dieser Frage und erforscht die Auswirkungen der SRG-Musikförderung sowie die Effekte der Vernetzung von Radio, Musikschaffenden und verschiedenen Publika. Von besonderem Interesse erscheint dieses Wirkungsgeflecht aus musikhistorischer und -soziologischer Sicht. Die SRG sendet in ihren Programmen nicht nur bereits bestehende Musik, sondern bestellt auch neue Musik. Den Ausgangspunkt für die Forschungsarbeiten des Projekts bilden deshalb die Kompositionsaufträge, welche die SRG seit ihrer Gründung 1931 vergeben hat. Als Vorleistung für das Projekt wurde eine Inventarliste der SRG-Kompositionsaufträge angelegt (https://zenodo.org/records/7432686).
Das Projekt umfasst die Untersuchungsbereiche Strukturen und Akteure, Produkte und Publikum. Die sich daraus ergebenden Forschungsfragen werden interdisziplinär mit musik-, geschichts- und medienwissenschaftlichen Ansätzen bearbeitet. Im Bereich Strukturen und Akteure (Rahmenbedingungen der Kompositionsaufträge) wird untersucht, wie sich die medien- und kulturpolitischen Voraussetzungen sowie die institutionelle Organisation der SRG auf die Musikproduktion im Allgemeinen und die Vergabe von Kompositionsaufträgen im Speziellen auswirkten. Durch Radiosendungen, Konzerte und die Vergabe von Kompositionsaufträgen wurden die Entwicklungen der zeitgenössischen Schweizer Musik gefördert, dokumentiert und dem Publikum vermittelt. Der Programmaustausch mit anderen Radiostationen verhalf der schweizerischen Musikproduktion darüber hinaus zu einer gewissen Aufmerksamkeit im Ausland. Im Untersuchungsbereich Produkte (Auftragskompositionen) werden die mehr als 500 inventarisierten Auftragsstücke mittels daraufhin analysiert, ob sie stilbildende Wirkung hatten oder ob sie einen repräsentativen Querschnitt des schweizerischen Musikschaffens über den Untersuchungszeitraum bilden. Weiter interessiert uns, ob sich aus den Werken so etwas wie eine klingende Swissness ableiten lässt. Die Stücke werden historisch kontextualisiert und daraufhin untersucht, ob sich aussermusikalische Sinnzuschreibungen und Interpretationen auf musikalische Elemente der Stücke beziehen lassen. Der Untersuchungsbereich Publikum (Rezeption) fokussiert darauf, wie die Stücke von Musikerinnen, Musikkritikern und dem allgemeinen Radiopublikum beurteilt wurden und welche Reaktionen sie hervorriefen: Trugen die SRG-Aufträge beispielsweise zur Bildung eines musikalischen Kanons der neueren Schweizer E-Musik bei?
Das Projekt macht die komplexen Interaktionen zwischen SRG, künstlerischen Akteuren und Publikum sichtbar, die für die Produktion und Rezeption zeitgenössischer Schweizer Musik ausschlaggebend waren. Es schliesst damit eine Forschungslücke in der schweizerischen Musik- und Mediengeschichte.