- Das SNF-Forschungsprojekt, das du leitest, beschäftigt sich mit einem politisch brisanten Thema, das viele europäische Städte beschäftigt: Verdichtung und Verdrängung. Was ist damit gemeint?
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Seit den 1990er-Jahren wächst in den europäischen Städten die Nachfrage nach Wohn- und Lebensraum. Urbanität wird als Lebensstil definiert und gewinnt auch für mittelständische Familien und ältere Menschen an Attraktivität. Diese Intensivierung der baulichen Entwicklung und die Verdichtung des Wohnraums gehen einerseits mit dem Verschwinden von Freiräumen wie Brachflächen einher, andererseits mit der zunehmenden Verdrängung vulnerabler Bevölkerungsgruppen wie Familien, Armen, Alten, Arbeitslosen oder Migrant:innen aus städtischen Innenräumen. Viele Stadtforscher:innen kritisieren diese profitgetriebenen urbanen Verdichtungs- und Verdrängungsprozesse und machen darauf aufmerksam, dass eine lebendige, überlebensfähige Stadt urbane Räume braucht, die sich durch Diversität, Offenheit und Begegnung mit dem Anderen auszeichnen.
- Euer künstlerisches Forschungsprojekt setzt genau hier an. Was untersucht das Projekt und in welchem Verhältnis steht «Urban Wastelands» zum Thema Verdichtung und Verdrängung?
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Das Forschungsprojekt geht davon aus, dass urbanen Brachen ein ambivalentes Potenzial innewohnt. Diese vieldeutigen Qualitäten urbaner Brachflächen werden erforscht und die dabei gewonnenen ethnografischen Erkenntnisse und Erfahrungen in künstlerische Interventionen übersetzt. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, ob durch künstlerische Interventionen neue Formen der Aneignung und Teilhabe am öffentlichen Leben in verdichteten, stark regulierten städtischen Innenräumen geschaffen werden können.
- Hast du ein Beispiel für eine bekannte Brachfläche in Zürich?
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Uns interessieren urbane Brachen, die offen sind für eine Vielfalt von Aneignungen und Bedeutungszuschreibungen, etwa die Hardturmbrache. Auf der Hardturmbrache stellt der Verein Stadionbrache einen öffentlich zugänglichen Freiraum zur Verfügung. Daneben befindet sich die Wagenburg «Rotonda», die aus der Räumung des Koch-Areals entstanden ist. Bis Anfang Mai bewohnten Schweizer und internationale Fahrende während vier Wochen einen Teil des Areals. Die Wagenburg und die Fahrenden fordern durch ihre Präsenz und Sichtbarkeit auf der Brache ihr Lebensrecht in der Stadt ein. Auf Brachen entstehen auf diese Weise Nachbarschaften, die in ständiger Bewegung sind; es sind Koexistenzen unterschiedlicher Ästhetiken, Lebens- und Nutzungsformen. Diese Offenheit und Brüchigkeit von urbanen Brachen, die sich durch das Unvorhersehbare auszeichnen und neue Bedeutungszuschreibungen, Prozesse und Akteur:innen zulassen, stehen im Fokus unseres Projekts.