Als Expert_innen der Alltagskultur haben Jugendliche aus dem Kanton Zürich das Festival Blickfelder mitgestaltet.
Im Jahr 2013 führte das IAE im Auftrag der Bildungsdirektion des Kanton Zürich eine Studie durch, deren Ziel es war, Gründe für die Nicht-Teilnahme von jungen Menschen am kantonalen Festival Blickfelder – Künste für ein junges Publikum zu erforschen und Empfehlungen für eine noch größere Durchlässigkeit des Festivals zu formulieren. Für die Studie mit dem Titel Altstetten erklärt Blickfelder die Welt kamen wir ins Gespräch mit Jugendlichen, Lehrpersonen sowie MultiplikatorInnen aus der Jugendarbeit und Gemeinschaftszentren aus dem Züricher Stadtteil Altstetten, der gemeinhin nicht mit Affinität zur Hochkultur in Verbindung gebracht wird.
Aufbauend auf den Erkenntnissen der Studie wurde in den Jahren 2014-2016 in Zusammenarbeit mit der Bildungsdirektion des Kanton Zürich und gefördert von der Stiftung Mercator Schweiz, der Stadt Zürich sowie dem Kanton Zürich das Projekt «Die Kunstnäher_innen» durchgeführt. Eine Gruppe von Jugendlichen, bestehend aus Schüler_innen verschiedener Schulen und Nutzer_innen von Jugendeinrichtungen der Stadt, wurde dafür angefragt, als Expert_innen der Alltagskultur das Festival Blickfelder mitzugestalten. Dazu wurde zunächst eine Informationsgrundlage erarbeitet: Das Projektteam entwickelte ein «Basisvokabular der Kunstwelt», das Kenntnisse der zeitgenössischen Kunstproduktion ebenso enthält wie die unausgesprochenen Regeln der Kunstwelt. Über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren kamen die Jugendlichen regelmässig zu Workshops zusammen. Anknüpfend an ihr bestehendes Wissen über Kunst und in kritischer Reflexion des «Basisvokabulars» entwarfen sie zusammen mit Kulturvermittler_innen und Künstler_innen Veranstaltungsformate und Kommunikationsstrategien für das Festival Blickfelder, welches im Frühjahr 2016 stattfand. So brachten sie ihre persönlichen Erfahrungen und Interessen in die Welt der legitimierten Kultur ein, forderten sie heraus, gestalteten sie durch ihr Wissen und ihre Haltungen mit und schafften Anschlussstellen. Entstanden sind dabei mehrere Projekte.
Time Out: 17 junge Menschen aus dem Kanton Zürich haben das volle Risiko auf sich genommen und innerhalb von Blickfelder ihr eigenes Festival konzipiert. Die Gruppe ist sich einig darüber, dass die Festivalbesucher nicht nur zuschauen sollen sondern das Festival gleich selber mitgestalten. Die Jugendlichen habe ein 300 Quadratmeter grosses Labyrinth aus Gemüseharassen auf das Festivalzentrum gebaut, in dem sie das Publikum dazu einluden sich zu verirren, ihre Zeit zu verlieren, alkoholfreie Cocktails zu probieren, Karaoke zu singen und die offene Bühne zu entern.
Wir füllen eure Säle: Vier weitere junge Menschen haben sich vorgenommen innovative Werbestrategien für zwei ausgewählte Theaterstücke aus dem Programm von Blickfelder zu entwickeln. Werbung die auch sie selber und ihre gleichaltrigen Freund_innen ansprechen würde. Sie haben Aktionen geplant und umgesetzt, Plakate und Flyer gestaltet, Taschen bedruckt, Ballons steigen lassen, einen Wettbewerb lanciert sowie eine kleine Performance geprobt um bei den jungen Leuten für die beiden Stücke zu werben.
Kunstkasten: Aus dem «Basisvokabular» und der Zusammenarbeit mit den Jugendlichen entstand parallel dazu ein künstlerisch aufbereitetes Lernmodul («Kunstkasten»), das vor, während und nach dem Festival in Schulen des Kantons eingesetzt wurde (und immer noch wird) und dort als Grundlage für die Auseinandersetzung mit legitimierter Kultur und mit dem Festival Blickfelder dient. Mit dem «Kunstkasten» erhalten Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I und II die Möglichkeit, sich spielerisch mit Persönlichkeiten und Produktionen aus Musik, Tanz, Theater und Bildender Kunst zu beschäftigen und gewinnen damit Wissen über die künstlerischen Arbeitsbereiche und deren beruflichen Perspektiven.
Der «Kunstkasten» wird auf den Webseiten des Blickfelder Festivals kostenlos zum Download angeboten (http://blickfelder.ch/index.php?id=2613).
In der letzten Phase des Projektes ab Herbst 2016 wurde das Erlebte ausgewertet. Um die im Projekt gewonnenen Erkenntnisse zu teilen, wurde eine Buchpublikation erarbeitet, die sich an das Arbeitsfeld der Kulturvermittlung richtet. Ihr Ziel ist, durch anschauliche Beispiele und eine fundierte theoretische Grundierung den Praktiker_innen im Arbeitsfeld Unterstützung an die Hand zu geben, damit sie durch ihre Kulturvermittlung substantiell und langfristig zu mehr kultureller Teilhabe für bislang ausgeschlossene Nutzer_innengruppen beitragen können. («Zurücktreten bitte! Mehr kulturelle Teilhabe durch rationale Kulturvermittlung» Wanda Wieczorek, mit einem Beitrag von Markus Rieger-Ladich. kopaed, München 2018).