Angewandtes Forschungsprojekt zur gestalterischen Entwicklung eines prototypischen Mental-Health-Tools für Jugendliche
Forschungsstand
Eines der zentralen Thema, denen wir uns im Rahmen des Forschungsbereiches «Care Futures» widmen, ist die veränderte Weise, in der Jugendliche und junge Erwachsene mentale Krisen und Krankheiten in digitalen Kanälen inszenieren und kommunizieren.
Im Jahr 2019 wurde das von uns initiierte und durchgeführte Pilotprojekt «Sick Style» zur Erforschung der Grundlagen in Form einer Auftragsstudie der Gesundheitsförderung Schweiz in Zusammenarbeit mit Pro Juventute umgesetzt und abgeschlossen. Im Austausch mit Expertinnen und Experten verschiedenster Disziplinen ist eine erste Untersuchung und Interpretation der Strategien und Motive gelungen, die heute für den Umgang Jugendlicher mit mentalen Erkrankungen im digitalen Raum prägend sind. Diese Grundlagenforschung ist die Basis für die hier vorgestellte zweite Phase der anwendungsorientierten Forschung: Die Entwicklung eines strategischen Design-Konzepts, das zukünftig im Rahmen der kommunikativen Präventions- und Interventionsarbeit eingesetzt werden soll. Ziel ist eine stärkere Anschlussfähigkeit an die junge Zielgruppe im Kontext der psychischen Gesundheit.
Unserer Recherche zeigte, dass der Umgang Jugendlicher und junger Erwachsener mit ihren Gefühlen sich deutlich von dem früherer Generationen unterscheidet. Dieser Wandel manifestiert sich beispielsweise im Neologismus «feels», oft in der Formel «all the feels». Er ist seit etwa 2010 Bestandteil des Internet-Slangs der Generation Z und bezeichnet die Gesamtheit des Gefühlslebens, in der positive und negative Aspekte untrennbar miteinander verbunden sind. Die Generation Z zeigte sich uns als eine Generation, die offenbar eine grundlegend neue Einstellung zu eigenen emotionalen und psychischen Defiziten entwickelt hat. Man könnte sie auch als eine «Generation Emotion» bezeichnen, bei der alle Arten von Gefühlen, nicht nur die positiv konnotierten, eine Aufwertung und Normalisierung erfahren.
In den Gesprächen, die wir in der ersten Forschungsphase führten, wurde deutlich, dass es bei vielen Jugendlichen Unverständnis, zum Teil auch Resignation auslöst, dass ihrer psychischen Gesundheit im Real Life so wenig Raum zugestanden wird. Die unvoreingenommene Ansprache negativer Emotionen erfolge, während sie auf Social Media aktuell sehr präsent ist, im sonstigen Alltag der Jugendlichen und in der Erwachsenenwelt viel zu selten. Die Jugendlichen sprechen hier von einer seltsamen Stille, einem bedrückenden Schweigen der Erwachsenen. Angesprochen würden psychische Probleme bzw. Krankheiten häufig erst dann, wenn Aspekte wie starker Leistungsabfall, Selbstverletzungen oder Essstörungen einen akuten Handlungsbedarf signalisieren.
Mixed Emotions — Gefühle im Kontext psychischer Gesundheit
Wir alle wissen, was wir tun müssen, um körperlich gesund zu bleiben. Wir kennen die individuellen Schwachstellen unseres Körpers und wissen, wie wir Erkrankungen durch eine gesunde Lebensweise vorbeugen können. Wir erkennen, wenn das nicht hilft, die ersten Symptome. Und wir wissen, wie wir diese Symptome und die Ursachen der Erkrankung durch Therapien oder Medizin behandeln können. Wir sind Expertinnen und Experten unserer eigenen Gesundheit. Niemand weiss so gut, was unserem Körper hilft und schadet, wie wir selbst.
Ganz anders sieht es aus, wenn es um unsere psychische Gesundheit geht. Wir behandeln unsere mentale Verfassung oft so, als hätten wir gar keinen Einfluss auf sie. Oder wir halten es sogar für ausgeschlossen, dass uns psychische Erkrankungen jemals betreffen könnten. Dabei ist es ebenso unwahrscheinlich, dass wir psychisch unversehrt durch das Leben kommen, wie es unwahrscheinlich ist, dass wir niemals körperlich krank werden. Die App Heavy Mental basiert auf der Annahme, dass es keine Trennlinie zwischen «Geisteskranken» auf der einen und «Gesunden» auf der anderen Seite gibt, sondern nur fliessende Übergänge. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es eine Vielzahl sich ständig wandelnder, sich ergänzender und oftmals widersprüchlicher Gefühle, mit denen wir uns leider viel zu selten beschäftigen.
Wir neigen dazu, Emotionen zu verdrängen, besonders wenn sie sozial nicht erwünscht sind. Das kann auf kurze Sicht durchaus Sinn machen, um unsere Kräfte zu schonen. Auf lange Sicht aber werden diese Emotionen umso heftiger zurückkehren. Deshalb müssen wir den Mut aufbringen, uns ihnen zu stellen. Sie verlieren dadurch an zerstörerischer Kraft. Die psychologische Forschung zeigt sehr deutlich, wie wichtig es für unseres psychisches Wohlbefinden ist, Gefühle wahrzunehmen und sie anderen mitzuteilen. Besonders solche, die wir lieber nicht fühlen würden. Die Forschung zeigt auch, wie wichtig eine Vielfalt der Gefühlswahrnehmungen ist. Der Begriff dafür ist «Emodiversität», analog zur Biodiversität bei Ökosystemen: Je differenzierter wir unsere Gefühle wahrnehmen und benennen können, desto widerstandsfähiger und stabiler werden wir. Wir alle kennen die Schwierigkeit, komplexe Stimmungen in Worte zu fassen. Diese Fähigkeit kann aber erlernt und trainiert werden.
Heavy Mental — Eine App, die Gefühle zeigt
Jede und jeder von uns fühlt anders. Selbst wenn wir das gleiche Gefühl haben, fühlen wir es auf vollkommen unterschiedliche Weise. Mit dem Mood-Mixer können sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen – im wörtlichen Sinn – ein Bild davon machen, wie ihre eigene Gefühlswelt aussehen könnte. Der Name Heavy Mental, zugleich auch Titel der Grundlagenforschung, wurde von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Laufe des Prozesses immer wieder positiv bewertet. Er deutet an, worum es geht und hat mit der Anspielung auf das Musikgenre Heavy Metall auch etwas Humor.
Die NutzerInnen haben die Möglichkeit, aus verschiedenen Gefühlen vier auszuwählen, die ihre aktuelle Stimmung oder mentale Verfassung am besten beschreiben. Im nächsten Schritt können sie die ausgewählten Gefühle durch Anklicken und Ziehen entsprechend ihrer subjektiv empfundenen Intensität platzieren: je intensiver, desto weiter oben. Um die Vielfalt der Gefühle zu verdeutlichen, wird dabei auf generalisierende Kategorien wie «glücklich» oder «traurig» bewusst verzichtet.
Das Kernstück der App ist der Mental-Mixer. Er übersetzt die ausgewählten Gefühle und ihre Intensität in spezifische Farben, Formen, Bewegungen und Sounds. Als Ergebnis erhalten die UserInnen ihr persönliches Mood-Image. Sie können das Mood-Image heranzoomen und aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Sie können ein Bild von sich selbst als Oberfläche verwenden und einen Text in den Hintergrund platzieren und es als dreidimensionale AR (Augmented Reality) mit dem verschmelzen lassen, was die Kamera ihres Mobiltelefons filmt.
Ihr fertiges Mood-Image können sie mit Titel und Kommentar versehen und als Bild oder Video speichern. Sie können es verschicken oder auf sozialen Netzwerken teilen. Vor allem aber soll es ihnen dabei helfen, augenblickliche Stimmungen zu reflektieren. Die Prozentangaben zeigen ihnen dabei ganz genau, wie intensiv sie ein Gefühl wahrgenommen haben. Der Schwerpunkt der App und der Einstiegspunkt in das Thema Mental Health liegt also primär auf der Selbstreflektion der eigenen Gefühlswelt. Das Teilen dieser Gefühlswelten ist ein zweiter, möglicher Schritt.
Der animierte Prototyp dient dazu, die Funktionsweise der App und ihre ästhetische Anmutung zu verdeutlichen. Dafür wird der gesamte Nutzungsablauf exemplarisch anhand von vier Gefühlen dargestellt. In der finalen Version wird die Zahl der Optionen natürlich um ein Vielfaches höher sein, um den NutzerInnen eine möglichst präzise Auswahl zu ermöglichen.Die generierten Gefühlsbilder, in der App «Mood-Images» genannt, werden auf Basis der ausgewählten Gefühle und ihrer jeweiligen Intensität durch einen komplexen Algorithmus erstellt, der jeden einzelnen Parameter in eine visuelle Entsprechung übersetzt. In der endgültigen Form wird es sehr viele Auswahlmöglichkeiten und eine nahezu unbegrenzte Zahl möglicher «Mood-Images» geben, die durch ihre Kombination entstehen.