Das transdisziplinäre Forschungsprojekt fragt nach Aneignungspraktiken und Umdeutungen von ausgemusterten Panzersperren. Im Fokus steht dabei die raumpolitische, ästhetische und erinnerungskulturelle Dimension. Ein gemeinsamer Feldzugang und die Erprobung geteilter Verfahrensweisen lotet das «Miteinander» und «Gegeneinander» von Kunst und Ethnografie aus.
Das künstlerisch-ethnografische Forschungsprojekt «Materialisierte Erinnerungen (in) der Landschaft» fragt nach den Bezeichnungspraktiken unterschiedlicher Akteur*innen, die sich als (erinnerungskulturelles) Ensemble an ausgewählten Orten um die Panzersperren gebildet haben. Forschungsleitend ist die These, dass die Bedeutung der Panzersperren als Objekte in der Landschaft des Schweizer Mittellandes in den bisherigen Auseinandersetzungen zu Erinnerungskultur und regionalen Identitätskonstruktion vernachlässigt wurden. Den Ausgangspunkt des Forschungsinteresses bilden zwei teils kontradiktorische Diskursstränge, die sich im Zuge der erinnerungskulturellen Wende in den 1990er Jahren in der Schweiz entwickelt haben. Einerseits erfuhr der Réduit-Mythos, das in der Nachkriegszeit prägende Narrativ der Schweiz als neutrale und wehrhafte Nation mit einer humanitären Tradition, eine irreversible Erschütterung. Gleichzeitig setzte durch die Armeereform 1995 die Denkmal-Werdung der militärhistorischen Bauten der ehemaligen Alpenfestung ein. Dies führte dazu, dass die Denkmalpflege die Bauten inventarisierte und als national oder regional bedeutend klassifizierte. Damit erfahren sie im Moment ihrer Dekonstruktion eine kulturhistorische Aufwertung. Und es kam zu einer Situation der Deutungsoffenheit, die eine produktive Ausgangsbasis für künstlerische Arbeiten und Forschungen bildete, die wiederum in das Feld der Geschichtspolitik intervenierten oder die ausrangierten Bunker für Kunstprojekte nutzten. Zudem entstanden in den Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften eine Vielzahl von Forschungsprojekten, die sich im Feld der Gedächtnisforschung und Erinnerungskultur positionierten.
Der bisherige Fokus der künstlerischen wie wissenschaftlichen Forschung im Zusammenhang mit den Festungsbauten richtete sich jedoch auf die Bunker und Alpen als symbolträchtige Bilder und Imaginationsräume. Die Rolle der Panzersperren im Schweizer Mittelland als alltägliche und eher unprätentiöse Objekte blieb oft unbeachtet: Welche Deutungen erfahren die Panzersperren als sichtbare, aber alltägliche Artefakte an der Landschaftsoberfläche von unterschiedlichen Akteur*innen? Welchen Bedeutungswandel durchliefen sie nach der erinnerungskulturellen Wende und wie wirken sie heutzutage auf regionale Identitätsbildungsprozesse? Das Forschungsprojekt fokussiert dabei auf die ästhetische, raumpolitische und (alltags-)kulturelle Dimension der Panzersperren und auf Formen ihrer Umnutzung sowie Aneignung. Es fragt, wie bspw. politische Gemeinden und Schulen, die nationale und kantonale Denkmalpflege, militärhistorische Vereine, Naturschutzvereine aber auch Künstler*innen, Landwirt*innen, Spaziergänger*innen und Anwohner*innen sich die Panzersperren aneignen, diese umnutzen, wahrnehmen oder ins Landschaftsbild integrieren.
Als exploratives Forschungsdesign, welches sowohl für die künstlerische wie auch ethnografische Forschung charakteristisch ist, will das Forschungsprojekt erste Erkenntnisse hinsichtlich der Bedeutung der Panzersperren als erinnerungskulturelle Artefakte im Schweizer Mittelland liefern. Die künstlerische und ethnografische Zusammenarbeit zeichnet sich durch einen gemeinsamen Feldzugang aus und fokussiert dabei auf geteilte Verfahrensweise. In einem zyklisch-iterativen Prozess werden erste Ergebnisse, Aufzeichnungen und Daten in einer Fokusphase wieder in den Untersuchungsort zurückgespielt und mit beteiligten Akteur*innen diskutiert. Diese Verfahrensweise macht einen Raum auf für Reflexion auf mehreren Ebenen: Erstens bietet die zeitliche Distanz und die mediale Übersetzung die Möglichkeit von Kommentaren, Ergänzungen und Widerrufungen seitens der Akteur*innen. Zweitens wird der Prozess der ethnografischen Erhebung und künstlerischen Forschung an die Forschenden zurückgespielt und öffnet das Feld für weitere Aushandlungen oder mögliche Konfliktfelder innerhalb des erinnerungskulturellen Ensembles. Drittens dient er der Selbstreflexion der Forschenden und der Sichtbarmachung ihres eigenen Involviert-Seins in das Forschungsvorhaben und von Wissensproduktionen.
So verspricht das Projekt einen weiteren Beitrag zum Verhältnis von künstlerischer und ethnografischer Forschung als dialogische Verfahrensweise zu leisten und positioniert sich innerhalb des Diskurses um das Forschen mit und durch die Kunst.