Das Echoing als eine kulturanalytische und klangkünstlerische Praxis steht im Mittelpunkt des vorliegenden Dissertationsprojektes. Dabei handelt es sich um eine Erkundung der klangkünstlerischen Praktiken, die sich als ein kritisches Echo zu modernistischen auditiven Kulturen (Hör- und Klangkonzepte und -praktiken) der sogenannten westlichen Avantgarde entfalten. Mit kulturanalytischen Zugängen wird die Entwicklung der machtkritischen klangkünstlerischen Praktiken in Vergangenheit und Gegenwart nachvollzogen und das Echoing als eine kulturanalytische Praxis theoretisch fundiert.
Das Echo wird dabei zunächst auf der materiellen Ebene als ein physikalisches Phänomen verstanden, das Momente der Reflexion und der Diffraktion einschliesst (Barad 2003, Goh 2017). Die in einer solchen Diffraktion zusammengeführten physikalischen und symbolischen Momente des Echos fundieren das Echoing, welches hier als eine kulturanalytische und klangkünstlerische Praxis des Zuhörens mit spezifischen Aufmerksamkeiten aufgefasst wird. Das Zuhören richtet sich dabei auf gesellschaftliche und ausserklangliche Aspekte sowie die Fragen, wer gehört wird, wer das Sprechen initiiert und wer aural (un)signifikant ist (Henriques/Rietveld 2018: S. 276). Mit der postkolonialen Theorie wird nicht nur die Frage, wer spricht – oder was oder wer eine künstlerische Stimme erhält –, sondern auch, wer zuhört, relevant (Spivak 1990). Mit dem Echo als eine analyseleitende Metapher zielt das Projekt darauf ab, andere (auditive) Narrative zu entwerfen, die bekannten Bedeutungen durch andere zu ersetzen, zu verschieben und umzuleiten.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen geht das Dissertationsprojekt folgenden Fragen nach:
- Was bedeutet das modernistische Klangkonzept der westlichen Avantgarde als der „Klang in sich selbst“ (Kim-Cohen 2009: 295) für die soziale Konzeption eines universalistischen Hörsubjekts? Welche klangkünstlerischen Stimmen werden hierdurch unhörbar gemacht?
- In welchem Verhältnis stehen ausgewählte kritische und postkoloniale klangkünstlerische Praktiken zum modernistischen Klang- und Hörkonzept? Wie entfaltet sich klangkünstlerische Agency (vgl. zu „Sonic Agency“ LaBelle 2018) als eine Form von Echo(ing)?
- Wie kann Echoing als eine kulturanalytische Methode und Denkfigur für die Analyse von Klangkunstwerken genutzt werden, die dem modernistischen ‚Hörsinn‘ entgehen?
Um die Praxis des Echoings kulturanalytisch zu explorieren, werden drei klangkunsthistorische Kontexte exemplarisch fokussiert: (1) die Entstehung dominanter modernistischer Positionen und Marginalisierung von anderen klangkünstlerischen Stimmen in der westlichen Avantgarde (ca. 1950er Jahre); (2) die frühe Kritik der modernistischen Hör- und Klangpraktiken in klangkünstlerischen Beiträgen (ca. 1970er Jahre); (3) die Auslotung von Möglichkeiten eines Anders-Zuhörens und der Kritik der modernistischen Hör- und Klangpraktiken (gegenwärtig). Die Analyse richtet sich auf insgesamt sechs klangkünstlerische Beispiele (jeweils zwei pro Moment), die als Audioaufnahmen, Videoaufnahmen, Protokolle von Performances, semistrukturierte Interviews mit Künstler*innen den Korpus der Analyse bilden.
Die im Fokus der Analyse stehenden klangkünstlerischen Beispiele bilden eine Zeitlichkeit ab, welche die Entstehung der westlichen Avantgarde und ihre (kritische) Entwicklung über das 20. Jahrhundert hinaus nachverfolgen lässt. Diese echoenden Praktiken stehen dabei in einem kritischen Verhältnis zu den Ursprüngen der westlichen Avantgarde und kreieren eine Differenz. Sie verweigern, das Gleiche wo anders zu reproduzieren und bestehen auf einer Notwendigkeit, eine Differenz zu erzeugen (Goh 2017). Dabei wird Echoing als eine Möglichkeit verstanden, kritische Perspektiven in klangkünstlerischen Praktiken zu implementieren.
Um das Echoing als eine kulturanalytische Praxis zu begründen, werden ausgehend von der Konstruktion modernistischer auditiver Kulturen seine unterschiedlichen echoartigen Gegenstücke analysiert. Anhand der Analyse künstlerischer Praktiken wird das Echoing als kulturanalytisches Zuhören konkretisiert, bei dem spezifisch situierte Stimmen der Künstler*in, das Medium, der Kontext der Produktion, die symbolische (Re-)Interpretation von Geschichte(n) sowie die Positionen des*der Zuhörer*in in einem komplexen Netzwerk von Differenzen, Beziehungen und Verhältnissen produziert werden.