Auch in Bezug auf Bildung ist das Institute for Art Education (IAE) keinem emphatischen oder naiven Begriff verpflichtet, sondern einem kritischen. Das Bildungsideal bewegt sich historisch und aktuell in einem Spannungsfeld zwischen der Ermächtigung und der Zurichtung des Subjekts – Bildung selbst verhandelt diese unauslöschbare Ambivalenz, die der Idee und Geschichte der Humanistischen Bildung eingeschrieben ist: «Wilhelm von Humboldt überführte zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland die moderne Idee der Bildung – und worauf die Moderne sich bezog: den Glauben an die Vernunft, Emanzipation, Fortschritt, Autonomie – in die Stabilität staatlicher Institutionen (Bildungsanstalten). Das Spannungsverhältnis von Selbstbestimmung und Herrschaft ist von Beginn an im humanistischen Bildungsgedanken angelegt: Der Freiheit des Subjekts (Autonomie, Selbstbewusstsein) steht die Eingliederung beziehungsweise Anpassung in den Verfügungszusammenhang einer sozialen, objektivierenden Ordnung gegenüber. Das Bildungsideal (der Vervollkommnung der Persönlichkeit) entwickelte sich zu einem Machtinstrument, das die bürgerliche gesellschaftliche und kulturelle Vormachtstellung (des neu entstandenen ‹Bildungsbürgertums›) sicherte und auf Belehrung und unhinterfragter Weitergabe von Wissen basierte. Kulturelle Bildung ermöglichte gesellschaftlichen Aufstieg genauso wie die Ausübung politischer Funktionen und wurde zentrales Medium zur Reproduktion der Klassenstrukturen. Erziehung spielt eine entscheidende Rolle im symbolischen Kampf um exklusive Aneignung der legitimen Kulturgüter. Museen institutionalisierten das Ideal von Hochkultur. Die Ablehnung des Schulischen gehört dabei zum Habitus einer bürgerlichen Ästhetik, die die eigene soziale Stellung als natürlich und nicht als erworben (oder erwerbbar) begreift. Pierre Bourdieu (1994 [1979]) beschrieb den ästhetischen Sinn als Sinn für Distinktion, der sich kulturell abgrenzt und gesellschaftliche Überlegenheit behauptet (also in einem Beziehungsgeflecht von Sozialstruktur, Geschmacksstrukturen, Produktions- und Bildungssystem sowie Klassifizierungspraktiken verankert ist). Ein Wandel findet statt, wenn Systeme ausdifferenzierter, gesellschaftlich heterogener, weniger hierarchisch, Grenzziehungen schwächer und weniger universell werden, kulturelle Autorität dezentralisiert wird und Distinktion sich auch in anderen kulturellen Sphären zeigt. Forderungen nach einer Kultur für alle standen seit den 1970er Jahren im Zusammenhang mit Bildungsreformen, die auch zu einer kritischen Neubewertung der bildungspolitischen Funktion von Museen führten.» (Gressel 2009)
In der Arbeit des IAE wird Bildung nicht als Ideal bestätigt, sondern kritisch befragt hinsichtlich ihrer Potenziale, ihrer emanzipativen genauso wie ihrer disziplinierenden.
Literatur
- Bollenbeck, Georg: Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994.
- Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994 [1979].
- Gressel, Inka: «Humanistisches Bildungsideal», Glossardefinition in: Kunstvermittlung. Zwischen Dienstleistung und kritischer Praxis auf der documenta 12. Berlin/Zürich 2009.
- Masschelein, Jan und Wimmer, Michael: Alterität, Pluralität, Gerechtigkeit. Randgänge der Pädagogik. St. Augustin: Academia 1996.
- Sternfeld, Nora: Das pädagogische Unverhältnis. Lehren und Lernen bei Ranciere, Gramsci und Foucault. Wien: Turia + Kant 2008.
- Wuggenig, Ulf: »Soziale Ungleichheit und legitime Kultur«, in: Sebastian Müller-Roli (Hg.): Kulturpädagogik und Kulturarbeit, Weinheim/München: Beltz Juventa 1988, S. 33–64.