Seit den 1970er-Jahren haben konstruktivistische Ansätze eine wichtige Bedeutung innerhalb der Erziehungswissenschaften gewonnen. Gegenüber ontologischen und metaphysischen Wahrheitsansprüchen besteht der Konstruktivismus – ein Paradigma das in verschiedenen Disziplinen entwickelt wurde wie der Biologie (Humbero Maturana; Francisco Varela), Sozialphilosophie (Niklas Luhmann) oder Psychologie (Jean Piaget; Paul Watzlawick) – darauf, dass es sich bei der Wirklichkeit und ihrem Erkennen immer um ein mentales Konstrukt handelt. Pädagogisch bedeutsam sind diese Ansätze insbesondere deshalb, weil sich die Frage nach den Bedingungen und Möglichkeiten von Bildungs- und Erziehungsprozessen unter konstruktivistischen Prämissen radikal neu stellt: Wie können Bildung und Erziehung gedacht werden, wenn es sich bei der menschlichen Entwicklung vor allem um einen selbstorganisierten Vorgang handelt? Und was heisst es für das Lehren und Lernen, wenn Wissen nicht mehr nach Wahrheits- oder Geltungskriterien bemessen wird, sondern nach seiner «Viabilität», also Nützlichkeit?
Aus konstruktivistischer Perspektive sind Individuen durch folgende grundlegende Merkmale gekennzeichnet: Sie sind strukturdeterminiert, selbstreferentiell und nicht-trivial. Eine Person kann nicht von aussen zu einer bestimmten Reaktion veranlasst beziehungsweise determiniert werden, sondern die interne Struktur der Person bestimmt immer, wie sie sich mit Anregungen, die aus dem umgebenden Milieu kommen, auseinandersetzt. Jede Form der Beeinflussung, ob sie nun von pädagogischen, therapeutischen, wirtschaftlichen usw. Interessen abgeleitet wird, muss sich damit auseinandersetzen, dass es keine direkten, instruktiven Interaktionsbeziehungen geben kann. Der pädagogische Konstruktivismus betont die subjektive Perspektive der Konstruktion von Lebenswelten gegenüber der traditionellen Perspektive linearer Wissensvermittlung. Nicht die Vermittlung von Fachwissen steht im Vordergrund, sondern die Fähigkeit, Wissensnetze aufzubauen.
Literatur (Auswahl)
- Luhmann, Niklas, Soziologische Ansätze 5. Konstruktivistische Perspektiven, Opladen: Westdeutscher Verlag 1990.
- Maturana, Humberto R./Varela, Francisco J. Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens, Bern/München/Wien: Goldmann 1987.