Die Wissensgesellschaft «eröffnet eine Perspektive, die auf den Willen und die Befähigung der Menschen zu Selbstbestimmung setzt – ganz im Gegensatz zum technizistischen Begriff der Informationsgesellschaft. Nicht Rechnerleistungen und Miniaturisierung werden die Qualität der künftigen gesellschaftlichen Entwicklung bestimmen. Entscheidend wird die Auswahl des Nützlichen und die Fähigkeit zum Aushalten von Ambivalenzen und Unsicherheit sein, die Gestaltung des Zugangs zu Wissen und der fehlerfreundliche Umgang mit dem Nichtwissen. Wissen wird zur Schlüsselressource, Bildung zur Bedingung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.» (Heinrich Böll Stiftung o.J.) Weniger emphatisch als diese Versprechungen, die mit der Wissensgesellschaft notorisch verbunden werden, sondern kritisch bezieht sich das IAE auf diesen Begriff, der in den 1960er- und 1970er-Jahren eingeführt wurde und seither unzählige Definitionen erlebt hat. Der Begriff bezeichnet in jedem Fall einen Paradigmenwechsel einer postindustriellen Gesellschaft, deren Ökonomien auf der Ressource Wissen aufbauen: «Ein Wandel hat stattgefunden vom Ford-Kapitalismus, der auf Massenproduktion, starken Gewerkschaften und dem Familieneinkommen als Normfall basierte, zu einer Nach-Ford-Phase, die auf dezentralisierter Produktion, zurückgehender gewerkschaftlicher Organisierung und der wachsenden Teilnahme von Frauen am Arbeitsprozess beruht. Eine durchaus verwandte Verschiebung ist die von der Industriegesellschaft, deren Voraussetzung die Technologien der zweiten industriellen Revolution waren, zu dem, was Wissensgesellschaft genannt wird und was auf der Informationstechnologie der dritten industriellen Revolution beruht. Eine dritte Veränderung ist der Übergang von einer internationalen Ordnung souveräner Nationalstaaten zu einer globalisierten Ordnung, in der grosse transnationale Kapitalflüsse die nationalen Steuerungsmöglichkeiten beschneiden. Ich sehe all diese Entwicklungen als Teil eines Wegs zur Wissensgesellschaft.» (Frazer 2002)
Das Paradigma der Wissensgesellschaft ist kritisch auf seine Implikationen und Imperative zu befragen, welche (wie etwa jene mit der Wissensgesellschaft oft assoziierte Devise vom Lebenslangen Lernen) oft nur zu gut mit neoliberalen Regierungspraktiken vereinbar sind. Es ist aber auch auf seine Versprechen und Möglichkeiten hin zu prüfen, die in der Idee einer auf der Produktivkraft Wissen basierten Gesellschaft aufgehoben sind. Etwa die Relativierung des Monopols von Expert_innenwissen. Oder die Reformulierung des Wissensbegriffs selber, in der Wissen nicht als Kompetenz zur Reproduktion von Faktischem definiert wird, sondern als Entscheidungsfähigkeit über die Frage, welches Wissen für die Bearbeitung einer Fragestellung adäquat und notwendig ist. Aktuell bleibt auf jeden Fall das Wissen darum, dass um Bildungsressourcen unvermindert heftige Verteilungskämpfe stattfinden: «Bei so viel Begeisterung für die Wissensgesellschaft, werden Fragen nach der Legitimität bestimmten Wissens, seiner Repräsentation und den unterschiedlichen Zugängen zu verschiedenen Formen des Wissens häufig vernachlässigt. In der Behauptung, Wissen sei gegenwärtig ‹immer grösseren Bevölkerungsschichten direkt oder indirekt zugänglich› (Stehr), bleibt zumindest unerwähnt, dass die Voraussetzungen für den Zugang zu und den Umgang mit Wissen radikal unterschiedliche sind.» (Kastner 2007)
Quellen
- Frazer, Nancy, Soziale Gerechtigkeit in der Wissensgesellschaft: Umverteilung, Anerkennung und Teilhabe, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.), Gut zu Wissen – Links zur Wissensgesellschaft, Münster: Westfälisches Dampfboot 2002.
- Heinrich Böll Stiftung, Wissensgesellschaft, Berlin, o.J. www.wissensgesellschaft.org (zuletzt aufgerufen: 27.3.2017).
- Kastner, Jens, Skurrile skills und tolle tools. Wissensgesellschaft und Kunst, in: Bildpunkt Herbst, Widerstand. Macht. Wissen, Wien: IGBildendeKunst 2007; http://www.igbildendekunst.at/bildpunkt/2007/widerstand-macht-wissen/kastner.htm (zuletzt aufgerufen: 27.3.2017).
- Erstunterzeichner_innen, Wir wollen keinen «Wissensmarkt»! Aufruf für die europäische Mobilisierung gegen die Lissabon-Strategie in Hochschulen und Forschung. Initiative, eipcp news, 2009 (zuletzt aufgerufen: 27.3.2017).