Die kritische Sozialwissenschaft beinhaltet die Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen und bezieht sich auf die Tradition, Erkenntnisse und Überlegungen der kritischen Theorie. Als Kritische Theorie wird eine von Friedrich Hegel, Karl Marx und Sigmund Freud inspirierte Gesellschaftstheorie bezeichnet, deren Vertreter unter dem Begriff Frankfurter Schule zusammengefasst werden. Häufig genannte Vertreter der Frankfurter Schule sind Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse, Erich Fromm, Leo Löwenthal, Franz Neumann, Otto Kirchheimer, Friedrich Pollock und auch Walter Benjamin. Gegenstand ist die kritische Analyse der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, das Ziel die Aufdeckung von Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen, die Entlarvung vorherrschender Ideologien und eine vernünftige Gesellschaft mündiger Menschen (Wiggershaus 1988).
Die Tradition der Kritischen Theorie war prägend für die Grundbegrifflichkeiten in der Forschungsperspektive der kritischen Sozialwissenschaften. Es geht darum, Vorkehrungen zur Sicherstellung des kritischen Charakters der Erkenntnisgewinnung einzubauen und zur Forderung nach Emanzipation zu verpflichten. Am IAE wenden wir die Kritischen Sozialwissenschaften insbesondere im Sinne einer normativen Kritik an: Normative Kritik richtet sich gegen die Unrichtigkeit normativer Überzeugungen. «Analog zu empirischen Behauptungen können solche normativen Überzeugungen sowohl von Akteuren wie in Theorien explizit formuliert oder unterstellt sein» (Baurmann et al. 1979: 106). Normative Kritik «setzt also immer die explizite oder implizite Berufung auf eine alternative Norm voraus, deren Richtigkeit behauptet werden muss. Eine solche Kritik kann deshalb nur in dem Masse überzeugen, in dem die Begründung einer alternativen Norm überzeugt» (Baurmann et al. 1979: 107). Somit soll sich die Kritische Sozialwissenschaft an einer aufgeklärten, gesellschaftlichen Interessensausbildung beteiligen. Damit das gelingt, muss sie einerseits im Stil einer Selbstkritik und einer Ideologiekritik die Gewissheit eigener Interessen erschüttern und die empirischen und normativen Bedingungen erarbeiten und identifizieren, denen eine neue Ausbildung von Interessen unterliegen muss. Andererseits ist dies nur möglich, wenn die Mitglieder selbst ihre Gesellschaft kritisieren (Brunkhorst 2014). Die kritischen Sozialwissenschaften sind also weniger ein theoretisches als vielmehr ein Handlungsmodell. In dessen Anwendung versteht das IAE Kritik als zeitlich und räumlich kontextualisiert wie auch als Möglichkeit von Kritik der Kritik.
Literatur
- Brunkhorst, Hauke, Kritik und kritische Theorie, Baden-Baden: Nomos 2014.
- Baurmann, Michael/Leist, Anton/Mans, Dieter, Zum Programm einer kritischen Sozialwissenschaft – Theorie der gerechten Gesellschaft und Ideologiekritik, Analyse & Kritik 1(2), Opladen: Westdeutscher Verlag 1979, S. 105-124.
- Wiggershaus, Rolf, Die Frankfurter Schule. Geschichte Theoretische Entwicklung Politische Bedeutung, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2008[1988].