Die brandneue Weiterbildung, die sich an Studierende und Fachleute aus dem Bereich Kunst und kreative Praktiken richtet, bringt Expert:innen aus verschiedenen Bereichen zusammen, um ein breites Spektrum von Anwendungen abzudecken und so neben einem allgemeinen Verständnis von KI aus historischer, philosophischer, sozialer und technischer Sicht eine breite Palette von Werkzeugen anzubieten, die bei der Schaffung, Produktion und Umsetzung von Kunstwerken und anderen kreativen Unternehmungen eingesetzt werden können.
Künstlerische Werkzeuge im digitalen Zeitalter
Spezialisiert auf Immersive Spaces, arbeitet Prof. Dr. Chris Salter seit 1990 mit digitalen Medien und seit 2010 mit KI. Er ist emeritierter Professor für Design und Computational Arts an der Concordia University. Im Jahr 2022 zog er nach Zürich, um Professor für Immersive Arts (IA) und Direktor des Immersive Arts Space an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) zu werden. Mit seinem Hintergrund in Geisteswissenschaften, digitalen Technologien und Wirtschaft sowie als Autor dreier Bücher, wird er im neuen CAS das Modul über Geschichte und Philosophie unterrichten.
Jede neue Technologie stellt den Einzelnen und die Gesellschaft als Ganzes vor die Herausforderung, sich an die Integration dieser neuen Werkzeuge anzupassen. KI scheint wie aus dem Nichts aufgetaucht zu sein, insbesondere mit dem Aufkommen von OpenAI-Diensten wie DALL-E und ChatGPT. Das ist nicht ganz richtig. In seinem Buch Entangled (2010) erklärt Chris Salter, wie die Einführung einer neuen Technologie Künstler und die Schaffung von Kunstwerken beeinflusst hat:
Chris Salter: «Entangled beschreibt die Geschichte der künstlerischen Performanzpraxis, insbesondere wie Theater, Tanz, Klang – die Live-Arts – seit langem die Verwobenheiten von Menschen und Maschinen beinhalten: der Deus ex Machina im griechischen Theater, der Einsatz von Flugmaschinen in der Renaissance, die Einführung von Leinwandprojektion, Film und bewegten Bildern in der russischen und deutschen Avantgarde in den frühen 1920er Jahren oder die Nutzung von Video in der Live-Performance in den späten 1960er Jahren. All diese Entwicklungen waren historisch verwurzelt und bedingt durch bestimmte sozio-technische Kontexte – sie sind nicht einfach vom Himmel gefallen. Dasselbe gilt für die Künstliche Intelligenz, die Mitte der 1950er Jahre als Forschungsgebiet auftaucht und bereits in den 1960er Jahren in der Kunst experimentiert wird (zumindest im Sinne dessen, was ‹symbolisch› oder GOFAI (Good Old Fashioned AI) genannt wurde.»
Mensch gegen KI in der kreativen Arena
Während ich die Fragen für dieses Interview schrieb, entwarf ich einen Schluss «Haftungsausschluss: Dieses Interview wurde nicht von ChatGPT generiert». Es scheint, dass ich unbewusst meine Worte von denen eines trainierten Modells unterscheiden wollte, als ob diese Unterscheidung für den Leser oder für die befragte Person wichtig wäre. Es ist, als ob ich der Meinung wäre, dass die Befragung durch eine KI weniger interessante Ergebnisse hervorbringen würde als die Befragung durch eine echte Person. Unbewusst scheine ich zu behaupten, dass Maschinen nicht «denken» können (Turing-Test, Chinese Room).
Die schwindende Grenze zwischen Mensch und Maschine
In Ihrem Buch Sensing Machining: How Sensors Shape our Everyday Lives (2022) weisen Sie darauf hin, dass wir zunehmend von Sensoren umgeben sind. Sensoren verbinden die Realität mit dem Digitalen; sie liefern die Daten, mit denen das Digitale und die KI arbeiten oder trainiert werden können. Aber sie können uns auch aufspüren. Wir scheinen akzeptiert zu haben, dass Technologie magische Dinge wie das Entsperren des Telefons mit dem eigenen Gesicht tun kann, ohne ihre Ethik infrage zu stellen. Kürzlich wurde an der University of Technology Sydney ein tragbares, nicht-invasives System entwickelt, das stille Gedanken in Text umwandelt und zeigt, dass selbst Gedanken nicht mehr privat sind.
KI's Rolle in Tanz und Darstellender Kunst
Ursprünglich ein Experte für Robotik, arbeitet Dr. Daniel Bisig heute am Departement für Computer Music and Sound Technology der ZHdK und war Gast am C-DaRE (Centre for Dance Research – Conventry University), einem der wichtigsten Tanzforschungszentren Grossbritanniens. Er hat an mehreren Tanzproduktionen mitgewirkt und teilgenommen. Seit 2001 arbeitet er mit digitalen Medien und seit 2004 mit KI. Im neuen CAS AI for Creative Practices wird Daniel Bisig die Module Bewegung und Sound unterrichten. Er gibt uns einen kleinen Einblick in dieses Themenfeld:
In der Kunst sind wir oft mit der Produktion eines Kunstwerks konfrontiert, das eine Materialität hat. Mit KI-generierten Werken assoziieren wir stattdessen Kunstwerke, die nur im virtuellen Bereich angesiedelt sind.
Kreative Gegenwehr: Wie Kunstschaffende KI-Modelle herausfordern
Der Studienleiter des neuen CAS Artificial Intelligence for Creative Practices ist PD Dr. Sigve Haug. Der ausgebildete Teilchenphysiker hat viele Jahre beim CERN gearbeitet, wo er unter anderem mit der Verwaltung von Big Data konfrontiert war, die bei Experimenten entstehen. Heute ist er Leiter des Data Science Lab an der Universität Bern und verantwortet vier Weiterbildungsstudiengänge in KI.
Kürzlich hat das MIT einen Artikel veröffentlicht, in dem das Werkzeug «Nightshade» vorgestellt wurde, das in der Lage ist, Data Sets mit Daten zu vergiften, die so verfälscht sind, dass das Set ungenau wird. Dadurch wird ein Degenerationsprozess des trainierten Modells (oder der KI) in Gang gesetzt. Künstler:innen können nun mithilfe von Tools wie «Nightshade» oder «Glaze» ihre Werke und ihr geistiges Eigentum vor Ausbeutung schützen.