Seit rund fünfzehn Jahren kommen im Theater immer mehr Methoden oder Tools der interaktiven digitalen Medien und der Computerspiele zur Anwendung. Die sogenannten «Game-Theatres» bedienen sich der Logik der digitalen Spiele und stützen sich dabei auf deren performatives und regelgeleitetes Storytelling. Sie laufen auf die Schaffung grösserer, nicht mehr an Ort und Zeit der Theateraufführung gebundener ‚dramaturgischer Erlebnisräume‘ hinaus, die nicht selten ganze Gebäude oder Industriebrachen einbeziehen. Damit geht, so die These der Dissertation, eine radikale Transformation der bisher weitgehend unangetastet gebliebenen Triangulation aus Theater (als Raum, Institution), Produktion (als AutorIn, Produzentenkollektiv, RegisseurIn, DramaturgIn, SchauspielerInnen) und Publikum (als ZuschauerIn) hin zu einer wechselseitigen Ko-Kreativität, die alle Beteiligten jenseits ihrer überlieferten Rollen in Kollaborateure oder Mitaktivisten verwandelt, die gleichermassen an der Realisierung der ‚performativen Ereignisse‘ mitarbeiten. Die Partizipativität und Immersion, die für virtuelle Welten charakteristisch sind, sind denn auch für die Ludification des Theaters von besonderer Relevanz. Erst durch ein genuines Versinken in eine Geschichte oder ein Spiel, dessen Teil man geworden ist, ist man emotional so involviert, dass die fiktive Welt sich „real“ anfühlt und so eine neue Utopie des Theatralen ermöglicht wird. Die Dissertation nimmt diese Tendenzen in den Fokus und widmet sich folgenden Hauptfragen: Welche Auswirkungen zeigt die Digitalisierung, hier verstanden als die Verwendung von Logiken digitaler Spielformate und -narrative im Theater? Wie kreieren die Teilnehmenden gemeinsame Welten, die eine Involviertheit und Engagiertheit in Bezug auf andere Personen einfordern, aber auch Fragen der ethischen Aussetzung aufwerfen? Wie schaffen die miteinander konfrontierten Kollaborateure ko-kreativ neue Utopien, die von den jeweiligen eigenen Leben verbunden sind?
Biografie Réjane Dreifuss hat als Projektleiterin und Dramaturgin für die Theaterfirma sonimage gearbeitet. Zusammen mit dem Autor und Regisseur Igor Bauersima hat sie, unter dem Pseudonym Réjane Desvignes, Theaterstücke geschrieben und inszeniert, bei denen digitale Technologien für die Erzeugung von Narrationen eine entscheidende Rolle spielten: so die Traumnovelle nach Arthur Schnitzler (Theater in der Josefstadt, Wien, 2011), Rage of life (Vlaamse Opera, Antwerp, 2010), Teseo nach Georg Händel (Staatoper Stuttgart, 2009), Le Comte Ory nach Giacomo Rossini (Staatoper Stuttgart, 2008), Boulevard Sevastopol (Burgtheater, Wien, 2006), Lucie de Beaune (Schauspielhaus Zürich, 2005), Bérénice de Molière (Burgtheater, Wien, 2004), Schwarz & Weiss (Schauspielhaus Düsseldorf, 2004), Dantons Tod nach Georg Büchner (Schaupielhaus Hannover, 2003), Tattoo (Schauspielhaus Düsseldorf, 2002), Futur de Luxe (Schauspielhaus Hannover, 2002), norway.today (Schauspielhaus Düsseldorf, 2000), context (Theaterhaus Gessnerallee, Zürich, 1999). Seit 2014 forscht Réjane Dreifuss den Einfluss der Digitalisierung auf das Theater, wobei es ihr besonders um die Generierung neuer Erzählformen geht. Zu diesem Thema hat sie ihre Masterarbeit «Le théâtre contemporain au contact du numérique. L’exploration des possibles» verfasst (ZHAW, 2015). Zusammen mit Dieter Mersch hat sie im 2016 das Symposium «Gamification: Digitale Ausrahmungen des Theaters» unter Beteiligung massgeblicher Akteure des Game-Theaters organisiert (ZHdK). Im 2017 hat sie an der internationalen Tagung « Masques technologiques: altérités hybrides de la scène contemporaine » mit dem Vortrag «Game-Theater: lorsque le spectateur se met en mode joueur » teilgenommen (Le Cube, Université Paris 8). 2018 hat sie mit Dieter Mersch das Symposium «Ludification in Theatre. Neue Utopien des Theatralen» organisiert (ZHdK). Im gleichen Jahr wurde sie im kooperativen Forschung-Laboratorium des Collegium Helveticum aufgenommen, wo sie eine Dissertation mit dem Arbeitstitel « Ludification: zur Ausrahmung des Theaters » schreibt, die voraussichtlich im Jahr 2023 bei Prof. Silvia Sasse, Philosophische Fakultät der Universität Zürich (UZH), Kulturanalyse, eingereicht wird. Im 2019 hat sie an den Tagungen 20th International CINet Conference (Odense, Dänemark) und Elia Academy «Decoding Digitality in Higher Arts Education» (Stuttgart) mit dem Vortrag «Game theatres as methodology for trust building in scenario development» teilgenommen.