«Kulturelle Bildung ist offensichtlich in der Praxis nicht bloss ein Sammelbegriff, es ist auch ein Sammelbegriff, der offen ist für immer neue Praxisformen». (Fuchs 2008). Festzustellen ist jedenfalls, dass der in Deutschland verbreitete, in der Schweiz weniger gebräuchliche Begriff der kulturellen Bildung bislang oft nicht nur offen war für neue Praxisformen, sondern auch für alte Bildungsideologien, die sich in dem Vorgängerkonzept der «musischen Bildung» aus der Reformbewegung der 1920er- und 1930er-Jahre artikulierten. Obwohl man sich in den 1970er-Jahren mit dem Begriff der kulturellen Bildung gerade gegen universalisierende, bürgerliche Konzepte der «musischen Bildung» abgrenzen wollte, tendieren auch aktuelle Formulierungen, die den Aspekt der Teilhabe an Kultur (mittlerweile als Menschenrecht festgeschrieben) betonen, dazu, implizit einen undistanzierten, mithin missionarischen Kulturidealismus und die damit verbundene Logik der Herablassung weiter zu transportieren:
«Kulturelle Bildung – der Begriff hat Hochkonjunktur. Doch was versteht man eigentlich darunter, was genau ist gemeint? Kunst- und Musikunterricht kennt jeder, aber ist das schon kulturelle Bildung? Kulturelle Bildung bedeutet Bildung zur kulturellen Teilhabe, etwa aktiv als Mitglied eines Orchesters oder auch passiv zum Beispiel als Museumsbesucher. Sie ist nicht nur Teil der schulischen, sondern auch der ausserschulischen Bildungsarbeit. Anders als die staatliche politische Bildung erreicht sie ein breites Publikum – von politisch desinteressierten Jugendlichen über Migrantinnen und Migranten bis hin zu älteren Menschen, die als weitere Zielgruppe kultureller Bildung verstärkt in den Blick genommen werden.» (Dossier Kulturelle Bildung)
Das IAE bezieht sich kritisch auf das Konzept kultureller Bildung in dem es an einer Klärung der jeweiligen Kunst-, Kultur- und Bildungsbegriffe, welche die Praxis und die Legitimationsstrategien strukturieren, arbeitet. Es betont zudem dessen gesellschaftliche Dimension – in der Überzeugung, dass kulturelle Teilhabe nur verbunden mit politischer und ökonomischer Teilhabe relevant ist.
Unter diesen Voraussetzungen werden am IAE die Potentiale von kultureller Bildung untersucht: Was sind die unersetzbaren Eigenheiten des Bildens mit Kunst und Kultur? Wie ist kulturelle Bildung trotz oder gerade wegen ihres ideologischen Ballasts für Bildungsprozesse produktiv zu machen?
Literatur
- Dossier kulturelle Bildung Bundeszentrale für politische Bildung (zuletzt aufgerufen: 24.3.2017)
- Portal der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (zuletzt aufgerufen: 24.3.2017)
- Bundesakademie der kulturellen Bildung (zuletzt aufgerufen: 24.3.2017)
- Fuchs, Max, Kulturelle Bildung. Grundlagen – Praxis – Politik, München: kopaed 2008.
- Maedler, Jens (Hg.), TeilHabeNichtse: Chancengerechtigkeit und kulturelle Bildung, München: kopaed 2008.
- Otto, Hans-Uwe/Rauschenbach, Thomas (Hg.), Die andere Seite der Bildung: Zum Verhältnis von formellen und informellen Bildungsprozessen, Wiesbaden: Springer 2008.
- Steenblock, Volker, Theorie der kulturellen Bildung, München, Wilhelm Fink Verlag 1999.
- Vgl. auch die Schriftenreihe Kulturelle Bildung des kopaed, Fachverlag für Kommunikation und Pädagogik. (zuletzt aufgerufen: 24.3.2017)