Visual Studies sind heute ein vielfältiges transdisziplinäres Forschungsfeld, das Fragestellungen der Cultural, Gender, Queer und Postcolonial Studies ebenso bearbeitet wie Ansätze der Medien- und Kunstwissenschaft. Ihren Ausgangspunkt nahmen die Visual Studies in der – oftmals feministischen – Repräsentationskritik, die seit den 1980er-Jahren von Künstler_innen, Filmemacher_innen und Theoretiker_innen wie Jacqueline Rose, Craig Owens, Stephen Heath, Mary Kelly, Stuart Hall, Laura Mulvey (1985), Teresa de Lauretis oder Kaja Silverman praktiziert wurde. Von der Position ausgehend, dass visuelle Wahrnehmung geschlechtlich, kulturell und klassenspezifisch geprägt ist und dass visuelle Bilder ebenso wie die Sprache an der Herstellung gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsprozesse beteiligt sind, leisten die Visual Studies eine persistente Kritik an der Produktion von Bildern und Fiktionen wie der Unschuld des Blicks, der Reinheit des Sehens oder der Wahrheit der Bilder. Sehen ist technisch vermittelt, im Körper verankert, von Begehren durchdrungen und von sozialer Stellung markiert, wie vor allem aus feministischer und postkolonialer Perspektive deutlich wurde.
«Die Frage nach der Verfasstheit des Bildes ist eine der Ersten, die sich die Gender Studies gestellt haben. Die frühen Arbeiten zum Film von Laura Mulvey, Teresa de Lauretis und Kaja Silverman und die kunsthistorischen Studien von Griselda Pollock, Marcia Pointon, Silvia Eiblmayr und vielen anderen stellen die libidinöse Grundierung des Bildes heraus; Autorinnen wie Katharina Sykora, Monika Wagner oder Beatrice von Bismarck wenden sich seinen materiellen und medialen Bedingtheiten zu. Wesen und Status des Bildes standen und stehen in der Geschlechterforschung immer wieder zur Diskussion. Überall erschallt derzeit der Ruf nach einem ‹visual›, ‹pictorial› oder ‹iconic turn›, nach einer Kunstwissenschaft als Bildwissenschaft, die ihre Zuständigkeit auch für neue Medien erklären soll.» (Söntgen 2001)
Studien zu visuellen Kulturen sind transdisziplinär. Orte und Weisen des Zu-Sehen-Gebens, Inszenierungen von (Un-)Sichtbarem und somit auch die Herstellung von Bedeutungen bilden das Forschungsfeld. Im Unterschied zur Bildwissenschaft ist das «Bild» hier nur ein Element in einem Gefüge, das sich über Verhältnisse räumlicher und visueller Ordnungen, in den besonderen Verknüpfungen von Wort und Bild und in den je spezifischen ästhetischen und materialen Eigenschaften ihrer Medien herstellt (Schade/Wenk 2009).
Visual Studies sind nicht identisch mit dem multidisziplinären Forschungsfeld der Bildwissenschaften (von Kunstwissenschaft, Philosophie über Semiotik bis zur Medizin und Informatik), die aus ganz unterschiedlicher Perspektive an visuellen Medien, am Bild und am Bildbegriff arbeitet.
Literatur
- Bloom, Lisa (Hg.), With Other Eyes - Looking at Race and Gender in Visual Culture, Minneapolis: University of Minnesota 1999.Elkins, James, Visual Studies. A skeptical introduction, London: Psychology Press 2003.
- Evans, Jessica/Hall, Stuart (Hg.): Visual Culture. The Reader, London: Sage, 1997.
- Holert, Tom (Hg.), Imageneering. Visuelle Kultur und Politik der Sichtbarkeit. = Jahresring, Bd. 47, Köln: Oktagon, 2000.
- Jenks, Chris (Hg.), Visual Culture, London/New York: Routledge, 1995.
- Jones, Amelia (Hg.), The Feminism and Visual Culture Reader, London: In Sight. Visual Culture 2002.
- Kravagna, Christian (Hg.), Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur, Berlin: Ed. ID-Archiv 1997.
- Mirzoeff, Nicholas (Hg.), Visual Culture Reader. London/New York: Routledge 1998.
- Mirzoeff, Nicholas, An introduction to visual culture. New York/London: Routledge 1999.
- Mulvey, Laura, Visual Pleasure and Narrative Cinema, in: Nichols, Bill (Hg.), Movies and Methods. Berkeley/Los Angeles: University of California Press 1985; dt.: Visuelle Lust und narratives Kino, in: Weissberg, Liliane (Hg.), Weiblichkeit als Maskerade, Frankfurt am Main: Fischer 1994, S. 48–65.
- Schade, Sigrid/Wenk, Silke, Studien zur visuellen Kultur. Eine Einführung. Bielefeld: transcript 2009.
- Söntgen, Beate, Gender in Trouble, in: Texte zur Kunst 42(June) Ausnahmefrauen /// Sie kam und blieb, 2001 (zuletzt aufgerufen: 27.3.2017).
- Sturken, Marita/Cartwright, Lisa, Practices of Looking. An Introduction to Visual Culture, Oxford: Oxford University Press 2001.
- Vgl. auch: Hammer-Tugendhat, Daniela/Schade, Sigrid/Wenk, Silke (Hg.) Reihe "Studien zur Visuellen Kultur" seit 2000; seit 2006 im transcript Verlag, Bielefeld.