Unsere Rollen zur Diskussion stellen
Heute ist es fast unvorstellbar, dass man von Zukunft spricht, ohne von der eigenen Position und Verantwortung zu sprechen. Die Zeit, in der wir als aufgeklärte Individuen auf einem sicheren Hügel standen, um von dort aus – mit panoramischer Sicht – die Welt zu betrachten, ist für immer vorbei. Wir stehen mittendrin, sind umgeben, ganz und gar umzingelt, und das Einzige, was wir tun können, ist, uns von den Geschehnissen, den Verhältnissen in dieser Welt bewegen zu lassen. Peter Sloterdijk sagte schon vor 15 Jahren: «Die Immersion ist überall. Wir müssen uns von dieser Welt anstecken, infizieren, vergiften lassen.» Das klingt nach den Erfahrungen einer beängstigenden Pandemie bitter, aber dennoch ist «Intoxication» zum Schlüsselbegriff des 21. Jahrhunderts geworden. Kunsthochschulen sind Orte des Wissens, der Wissensvermittlung und des Lernens, die im Zug des gesellschaftlichen Wandels vor neuen Herausforderungen stehen. An erster Stelle gilt es vielleicht, unsere Rolle als staatliche Ausbildungsinstitution grundsätzlich zur Diskussion zu stellen. Ich meine nicht den Ort an sich, sondern unsere Praxis, um den Status quo im Berufsfeld (Disziplinen, Methoden und Strukturen) aufrechtzuerhalten und als Tradition weiterzugeben. In diesem Sinne ist die künstlerische Lehre zwangsläufig konservativ, selbsterhaltend. Oder wie der britische Kunsttheoretiker Charles Esche sagt: «It is the backdrop against which society makes visible the limitations of its concept of art. And if our view of the arts is limited, then so too is our view of society.» Entsprechend ist im Umkehrschluss unser Innovationspotenzial untrennbar mit der Bereitschaft der Ausbildungen verbunden, bestehende Auffassungen in den Künsten vehement und kreativ zur Diskussion zu stellen und zu entgrenzen.