«Hoshigaki» hätscheln
Am Kopfende des Raumes ist eine Pyramide leuchtend-oranger Kakis auf einem weiteren grossen Holztisch aufgebaut. Maya erzählt, wie in Japan im Herbst tausende Kakis an Schnüre gehängt werden, um an der Luft zu trocknen. Dabei werden die Früchte zum Trocknen nicht einfach sich selbst überlassen, sondern täglich mit grosser Sorgfalt massiert. So werden die Tannine – also Gerbstoffe – gelöst und der Zuckergehalt in der ganzen Frucht wird richtig verteilt. Maya reicht uns Früchte, die sie gemeinsam mit Anne-Laure und Corinna bereits vor zwei Wochen aufgehängt hat. Die Oberfläche fühlt sich ledrig an, stabil und dennoch weich, auf Druck lässt sich das weiche Innere ertasten. Die Früchte haben bereits die richtige Konsistenz, doch perfekt sind sie erst, wenn sich eine weissliche Schicht über die Aussenhaut zieht – nicht etwa Schimmel, sondern karamellisierter Zucker. Die getrockneten Früchte nennen sich «Hoshigaki» und werden im Land der aufgehenden Sonne als Delikatesse zum Tee gereicht.
Wir dürfen uns nun eine dieser «Götterfrüchte» nehmen und zurück an unseren Platz sitzen. Es ist ein wenig wie bei einer Zaubershow: Anspannung und Erwartung liegen in der Luft. Wie verwandeln wir unsere Frucht nun in ein «Hoshigaki»? Maya leitet uns an: Wir schälen die Frucht und knüpfen eine Schnur um die oberen Blätter und den Stiel. «Es ist wichtig, dass wir eine Beziehung zu unserem Essen aufbauen, dass wir einen vorsichtigen Umgang mit unserer Nahrung pflegen und ihr unsere Wertschätzung entgegenbringen», erklärt sie. Und beweist sogleich, dass sie nicht nur Wasser predigt: Sie ist entzückt darüber, wie hübsch die überall herumliegenden Streifen der Kakischalen doch aussehen, wenn sie sich wie Locken kringeln und organisiert kurzerhand einen Eimer, in dem wir die Schalen sammeln und für eine spätere Verwendung aufbewahren. In was sie sie später wohl verwandelt?
Die Kaki mutiert in meinen Augen zu einem kleinen, bedürftigen Wesen: Wir müssen sie nun vorsichtig nach Hause tragen, an einem trockenen, warmen Ort aufhängen und in den kommenden zwei Wochen immer wieder hingebungsvoll massieren, am besten täglich. Ich stelle mir vor, wie ich nun täglich mein «Hoshigaki» hätschele und höre Maya sagen: «Unser eigenes Essen herzustellen, gerade beim Fermentieren, das hat auch viel mit Pflege und Care-Arbeit zu tun, ja es hat Parallelen dazu.»
Zähe Schale, prickelndes Inneres
Wir schnippeln, würzen, schmecken ab und füllen unsere Einmachgläser. Wir reden über Geschmacksknospen und Kindheitserinnerungen, wie die Grossmutter Sauerkraut hergestellt hat oder wann wir das erste Mal Kombucha getrunken haben. Immer wieder kommen Maya oder Anne-Laure an unsere Tische und decken uns neue Köstlichkeiten auf. Ich öffne ein Glas mit in Sojasauce und Mirin – japanischem Reiswein – eingelegten Knoblauchzehen. Sie schmecken erfrischend säuerlich, leicht süsslich, mit einer feinen Nuance von Karamell und haben die unverschämte Schärfe des rohen Knoblauchs verloren. Als nächstes wird eine Tomaten-Mango-Chillisauce herumgereicht. Diese ist richtig feurig und schmeckt leicht zitronig. Am Nebentisch gibt es eingelegten Rosenkohl und Cherry Tomaten. Die Leute stehen auf, wandern um die Tische, um all die aufgetischte Feinkost zu probieren. Ich beisse auf eine fermentierte Tomate und erlebe wahrlich eine kleine Geschmacksexplosion: Die Schale ist etwas zäh, dafür explodiert das Innere prickelnd in meinem Mund. Neben mir öffnet eine Frau eine mit gelber Flüssigkeit gefüllte Flasche – plop – und schon ergiesst sich ein sprudelndes Irgendwas über ihre Hände, den Tisch und den Boden. «Da seht ihr die Kraft der Bakterien, sie leben – es hat auch schon mal eine ganze Flasche «verjagt», meint Maya und lacht. Die gelbe Flüssigkeit ist Kombucha mit Kurkuma.