Die Cultural Studies fanden ihren Anfang in der Pädagogik, genauer gesagt in der Erwachsenenbildung, wie Raymond Williams, einer der zentralen Theoretiker der frühen Cultural Studies in Erinnerung rief: «But we are beginning I am afraid, to see encyclopedia articles dating the birth of Cultural Studies from this or that book in the late fifties. Don’t believe a word of it. That shift of perspective about the teaching of arts and literature and their relation to history and contemporary society began in Adult Education, it didn’t anywhere else.» (Zit. in Lindner 2000: 34)
Stuart Hall, einer der wichtigsten Theoretiker der Cultural Studies, lehrte Soziologie an der «Open University», einer Fernuniversität, die auch über das Nachtprogramm der BBC aktiv war. Aus den Erfahrungen mit dem «extra-mural teaching», dem Unterrichten ausserhalb schulischer und universitärer Kontexte gingen auch die ersten Schlüsseltexte hervor: So Raymond Williams Buch von 1958, «Culture and Society 1780–1950», oder Richard Hoggarts «The Uses of Literacy» von 1957. Die Politisierung kultureller Bildung führte zu einem neuen Paradigma: «Das theoriepolitische Aufkommen von Cultural Studies ist auf die Debatte um die Legitimation des herkömmlichen Kulturbegriffs in der Linken (New Left) zurückzuführen. (...) Gegen Ende der 1950er-Jahre begegneten Hoggart und Williams dem kulturindustriellen Vordrängen des Populären und nahmen die Arbeiterkultur als ihr Untersuchungsfeld. Für diese junge Generation hatten die konservativen kulturtheoretischen Ansätze keine genügende Erklärungskraft mehr. Sie setzten in ihren Arbeiten die aus der britischen Literaturkritik gekommene Tradition der Kulturkritik fort und erweiterten sie durch die Demokratisierung des Kulturverständnisses. Dabei ging es ihnen, insbesondere Williams, darum, die Vielfalt der Kulturen innerhalb der Gesellschaft zu akzentuieren und einen prozessualen Kulturbegriff zu entwerfen. Die neu entstandene Perspektive auf die kulturelle Entwicklung sollte die Kultur als zusammengehörigen Prozess, als «a whole way of life» begreifbar machen und die im Alltag gelebte Erfahrung ausdrücklich einschliessen. Dieser sogenannte Kulturalismus forderte daraufhin, alle Bedeutung hervorbringenden Prozesse mit derselben Ernsthaftigkeit wie die Formen der sogenannten Hochkultur zu analysieren und somit die Unterscheidung von «hoher» und «niederer» Kultur aufzugeben.
Die Cultural Studies sind heute zu einem theoretischen Feld und einer intellektuellen Praxis geworden, von kultursoziologischen, psychoanalytischen, politischen Ansätzen inspiriert und aus feministisch und postkolonialer Perspektive entscheidend reformuliert. Sie haben die Wissensproduktion der letzten Jahrzehnte deutlich geprägt. Eine Wissensproduktion, die immer von der (politischen) Frage nach den Machtverhältnissen ausgeht bei der Analyse von – durchwegs hierarchisierenden – Identitätskonstruktionen und -artikulationen – in dem Wissen, dass Kultur diese machtvollen Zuschreibungen (Stichwort Race, Class, Gender) nicht nur transportiert, sondern produziert.
Literatur
- Barker, Chris, Cultural Studies: Theory and Practice, London: Sage 2007.
- Bachmann-Medick, Doris, Cultural Turns: Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbeck: Rohwolt 2006.
- Berressem, Hanjo/Buchwald, Dagmar/Vokening, Heide (Hg.), Grenzüberschreibungen: Feminismus und Cultural Studies, Bielefeld: transcript Verlag 2001.
- Bromley, Roger/Göttlich, Udo/Winter, Carsten, (Hg.), Cultural Studies - Grundlagentexte zur Einführung, Lüneburg: Dietrich zu Klampen Verlag 1999.
- Brooker, Will, Cultural Studies, London: Hodder & Stoughton 1998.
- During, Simon, Cultural Studies. A Critical Introduction, London: Routledge 2005.
- Engelmann, Jan (Hg.), Die kleinen Unterschiede: Der Cultural Studies-Reader, Frankfurt a. M./New York: Campus 1999.
- Hall, Stuart, Cultural Studies. Ein politisches Theorieprojekt. Hamburg: Argument Verlag 2000.
- Hörning, Karl H. & Rainer Winter (Hg.), Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999.Lindner, Rolf, Die Stunde der Cultural Studies, Wien: WUV Universitätsverlag 2000.
- Machart, Oliver, Warum Cultural Studies vieles sind, aber nicht alles. Zum Kultur- und Medienbegriff der Cultural Studies. Medienheft 19, 2003. (Download) (zuletzt aufgerufen: 24.3.2017)
- Mecheril, Paul/Witsch, Monima (Hg.), Cultural Studies und Pädagogik. Kritische Artikulationen, Bielefeld: transcript Verlag 2006.