Das in der Diskursanalyse zum Tragen kommende Verständnis von «Diskurs» geht über die allgemeine Verwendung hinaus, mit der oft nur der sprachliche Anteil von Kommunikation gemeint ist. In Anlehnung an Michel Foucault werden als Diskurs alle Äusserungen gefasst, die in einer gegebenen Gesellschaft als selbstverständlich wahrgenommen werden und dadurch ihre «Realität» ausmachen (vgl. Keller 2011). Dies schliesst auch alle Praktiken ein, die über das Sprechen hinausgehen – etwa körperliche Darstellungskonventionen, wie sie beispielsweise die Genderforschung befragt, aber auch institutionelle Ordnungen. Die Diskursanalyse trägt dazu bei, diese Konventionen zu erkennen, «die Wirklichkeit zu ‹entzaubern› und als konstruierte – und damit auch anders mögliche – zu entdecken» (Keller 1997: 328). Foucault nannte als ihre Aufgabe «nicht – nicht mehr – die Diskurse als Gesamtheit von Zeichen [...], sondern als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen.» (Foucault 1981: 74)
Gleichwohl kommt der Sprache in der Diskursanalyse eine herausragende Bedeutung zu. So meint der Begriff «Aussage» in der Diskursanalyse «nicht die linguistische Einheit des Satzes, auch nicht die logische des Arguments, sondern er bezieht sich ganz allein auf das Erscheinen bestimmter Sätze in einer bestimmten Zeit und in ihrer bestimmten Macht.» (Ruffing 2008: 53) In diesem Sinne begreift Foucault Sprachverwendung als sozialen Akt der Wirklichkeitskonstruktion, der nicht auf das intentionale Handeln von Sprecher_innen reduzierbar ist, sondern durch institutionell stabilisierte Regeln und Ordnungen der Diskurse geformt wird (Keller 2011: 127) Bei der Beschreibung eines diskursiven Ereignisses steht die Frage im Mittelpunkt, «wie kommt es, dass eine bestimmte Aussage erschienen ist und keine andere an ihrer Stelle?» (Foucault 2008: 501)
Foucault bezeichnet Diskurs als «eine Menge von an unterschiedlichen Stellen erscheinenden, verstreuten Aussagen, die nach demselben Muster oder Regelsystem gebildet worden sind. Sie können deswegen ein und demselben Diskurs zugerechnet werden und konstituieren als Praktiken die Gegenstände, von denen sie handeln. Diese Strukturen und Ordnungen herauszuarbeiten ist Ziel der Diskursanalyse.» (Keller 2011: 132)
Für das Forschungsfeld des IAE ermöglicht eine diskursanalytische Perspektive beispielsweise die systematische Analyse von Verfahrensweisen von Akteur_innen in der Vermittlung, die als «natürlich» wahrgenommen werden, in der Regel unhinterfragt bleiben und damit umso wirkmächtiger sind. Sie nimmt die symbolischen Ordnungen, dominanten Sprachregelungen und Darstellungskonventionen in den Blick.
Methodisch ist die Diskursanalyse als Sammelbegriff für verschiedene disziplinäre Bezüge zu begreifen, die sich vor allem in den Sozial-, Geschichts- und Sprachwissenschaften wiederfinden: von der linguistisch fundierten Diskursforschung, die als breites interdisziplinäres Feld der Gesprächs- und Textanalyse im Sinne der «Sprachgebrauchsforschung» zu verstehen ist, über wissenssoziologische Ansätze (vgl. Keller 2011), die historische Diskursanalyse (vgl. Sarasin 2003) bis hin zur kritischen Diskursanalyse (vgl. Jäger 2009; Link 1993), die sich selbst als engagierte Forschung begreift – um nur einige der zentralen Strömungen zu nennen. Eine Zusammenfassung der Topologie der verschiedenen Diskursbegriffe findet sich bei Rainer Keller (2011: 99). Ausgehend von Foucault vergleicht Keller Foucaults Grundlegungen mit weiterführenden Ansätzen der Diskursforschung; nämlich der kritischen Diskursanalyse, dem Diskurskonzept der Cultural Studies und der politikwissenschaftlichen Diskurstheorie von Laclau und Mouffe. Gemein ist diesen Forschungsperspektiven, dass sie Diskursanalyse nicht als Methode anwenden, sondern als einen «breiten Gegenstandsbereich, ein Untersuchungsprogramm» (Keller 2011: 325) betrachten. Oder wie es der Historiker Sarasin formuliert: «Diskursanalyse beziehungsweise Diskurstheorie [ist] keine Methode, die man ‹lernen› könnte, sondern sie erscheint mir eher als eine theoretische, vielleicht sogar philosophische Haltung.» (Sarasin 2003: 8)
Das Fehlen einer Methodik der Diskursanalyse ist für Forscher_innen herausfordernd. Damit zusammenhängend stellen sich Probleme zu bestimmen, was eigentlich als Diskurs im Kontext der eigenen Fragestellung zu gelten habe, wie man diesen Diskurs beziehungsweise seine Elemente als Forscher_in findet oder nach welchen Kriterien zu entscheiden sei, wo dieser Diskurs beginnt oder endet. Trotz der Vielfalt diskursanalytischer Fragestellungen und dadurch bedingten unterschiedlichen Vorgehensweisen gibt es aus den unterschiedlichen Disziplinen Bemühungen, einzelne Schritte der diskursanalytischen Arbeit zu beschreiben. Eine Darstellung möglicher Untersuchungsschritte, von der Themenfindung über die Korpusbildung bis hin zu Analyseverfahren für Texte, bietet beispielsweise Achim Landwehr für die historische Diskursanalyse, die auch Hilfestellung für andere Untersuchungsschwerpunkte bieten kann (2008: 100–131).
(Anna Chrusciel)
Literatur
- Foucault, Michel, Archäologie des Wissens, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1981.
Foucault, Michel, Die Hauptwerke, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2008.
Jäger, Siegfried, Kritische Diskursanalyse, Münster: Unrast 2009. - Keller, Reiner, «Diskursanalyse», in: Hitzler, Ronald; Honer, Anne (Hg.): Sozialwissenschaftliche Hermeneutik, Opladen: Springer 1997.
- Keller, Reiner, Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms, 3. Auflage, Wiesbaden: VS-Verlag 2011.
- Landwehr, Achim, Historische Diskursanalyse, Frankfurt a. M.: Campus 2008.
- Ruffing, Rainer, Michel Foucault. Paderborn: Wilhelm Fink Verlag 2008.
- Sarasin, Philipp, Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2003.