Mit Beiträgen von: Rosella Biscotti, Roberto Nigro, Erik Steinbrecher, Anne Sauvagnargues, Michaela Ott, Dieter Mersch, Mirjam Schaub, Erich Hörl, Jörg Huber, Ruth Sonderegger, Sabeth Buchmann, Marion von Osten, Anke Haarmann, Bea Schlingelhoff, Peter Szendy, Ludger Schwarte, Pascale Criton, Jürgen Ploog, Alexander Düttmann, Emmanuel Alloa, Philipp stoellger, Hans Ulrich Reck, Josef Früchtl, Christoph Menke, Juliane Rebentisch, u.a.
Juni 2012, Druck: Schwarz-weiss & farbig, Preis: CHF 31.- ISBN: 978-3-906489--13-1
Seit zwei Jahren konzentriert sich die Arbeit am ith in der Bündelung unterschiedlicher thematischer Schwerpunktsetzungen auf die Auseinandersetzung mit der Ästhetik oder anders formuliert einer Theorie des Ästhetischen. Damit soll ein Zentrum für Ästhetik entwickelt werden, das in der Verbindung von Lehre, Forschung und Promotion einen Zusammenhang schafft, der an einer Hochschule der Künste seinen sinnvollen Ort findet. Gefragt wird, was wir unter Ästhetik überhaupt verstehen können und was wir meinen und beabsichtigen, wenn wir die Ästhetik als Theorie des Ästhetischen entwickeln wollen. Gefragt wird auch wie Ästhetik auf unsere Gegenwart bezogen werden kann und muss, resp. welche Bedeutung ihr zukommt in der Deutung einer Jetztzeit. Mit den hier versammelten (Er-)Öffnungen in ein Denken des Ästhetischen versuchen wir, die Diskussion in einen grösseren Kreis zu führen und in einen produktiven Arbeitszusammenhang mit Kunstschaffenden weiter zu treiben. Denn ästhetische Theorie kann nur auch ästhetische Praxis sein. Wenn die Ästhetik das sinnliche Gewebe und die Verständlichkeitsform und die Verständigungsform der Kunst ist, d.h. der Name des Begriffes, der seit zwei Jahrhunderten dies sinnliche Gewebe bezeichnet, dann kann die Entstehung der Ästhetik nicht von den Lebensformen getrennt werden. Die Bedingungen der Ästhetik, die Bedingungen ihrer Entstehung, wie auch die ästhetische Lage, können nicht von einem allgemeinen Begriff der Kunst oder des Schönen abgeleitet werden; sie stammen nicht von einem globalen Denken des Menschen, der Welt, des Subjektes oder des Seins. Sie sind von der Transformation der sinnlichen Erfahrung abhängig und wirken zusammen mit der Veränderung der Lebensformen. Die Ästhetik begreift die neuen Konfigurationen der Erfahrungen, d.h. die Transformationen unserer Wahrnehmung und der Art und Weise, wie wir affiziert werden. Unter dem Begriff Ästhetik wird keine Theorie der Kunst genannt, kein Privileg des Diskurses wieder aufgerufen; aber auch keine Autonomie des plastischen Universums eingefordert. Ästhetik beschreibt die Komplexität der Beziehung zwischen Diskursivem und Nicht-Diskursivem und ist der Name für den Boden, auf dem die sinnliche Erfahrung von dem, was wir Kunst nennen, stattfindet. Ästhetik ist dann das Terrain, das am besten erlaubt, die gegenwärtige Lage zu denken, vor dem Hintergrund der Transformationen der Produktionsweisen und der damit veränderten Rollen, die Immaterialität und Affektivität in den sozialen wie maschinischen Gefügen spielen.
Im Titel Ins Offene hallt die Sache und die Aufgabe des Denkens wider, weil sich die Ästhetik nach der Aktualität richtet; ihr obliegt die Aufgabe, die Gegenwart zu denken, die Zeit und die historische Lage, in der wir leben, zu untersuchen. Ihr gehört der Versuch, zu bestimmen, was mit uns geschieht, wer wir in diesem präzisen Moment der Geschichte sind. Die Aufgabe der Ästhetik besteht dann darin, das Offene zu erkunden und die Präsenz ans Licht zu bringen, bzw. das Abwesende und das Anwesende, die sich im Offenen versammeln, zu beleuchten. Aber es handelt sich um eine sehr besondere Erfahrung der Beleuchtung; nicht nur weil sie jenseits des Auges alle Sinne einbezieht, sondern insbesondere, weil sie sich gerade nicht auf die Macht des Lichtes stützt. Es geht vielmehr um einen auf die Dunkelheit geworfenen Blick auf der Suche nach einem schwachen Licht, das sich immer verschiebt, das sich immer von uns distanziert. Der Versuch, die Finsternis zu schauen ist eine mutige Geste. Hier wird die ästhetische Erfahrung zum Unbehagen, weil sie, anstatt in der Klarheit des Tageslichtes die Wahrheit des Werdens des Seins zu begreifen, den unzeitgemäßen Charakter der Gegenwart zeigt. Anstatt vom Licht der Gegenwart geblendet zu werden, handelt es sich darum, den Blick auf die Schattenseite der Gegenwart zu werfen. Nicht das Mittagslicht, sondern die Blässe und die Undurchsichtigkeit, durch die sich die ästhetische Erfahrung ergibt, zeigen, dass die historischen Bedingungen, auf denen die künstlerische Erfahrung beruht, mit der Zeit und der Gegenwart nicht übereinstimmen, sondern sich im Widerstreit befinden. Hier erscheint das Unzeitgemäße der Ästhetik, ihr (Ein-)Wirken auf die Zeit, auf die Zeit, auch im Sinne einer noch kommenden Zeit. Durch eine immer noch verschobene Geste versucht die Ästhetik, das sinnliche Gewebe sagbar, sichtbar, hörbar zu machen. Sie versucht, die historischen Möglichkeitsbedingungen der Kunst zu begreifen, d.h. die singulären Dispositive, die die künstlerische Erfahrung regieren, zu erörtern. Wenn wir von ästhetischer Erfahrung sprechen, denken wir nicht an einen besonderen Bereich, etwa den Bereich der Experten oder der Künstler, sondern an das Leben eines jeden Individuums, weil jeder Lebensweise potentiell ein Künstlerisches eignet. Die Reflexion über die Bedingungsmöglichkeiten der Kunst ist denn auch Reflexion über die Existenz, über die Existenzmodi; daher wird die Ästhetik zur Ästhetik der Existenz, bzw. Reflexion über die Aktualität, über die Gegenwart.